Nichts geht mehr im politischen Rom: Innenminister Matteo Salvini fordert Neuwahlen. Die Koalition zwischen Lega und Cinque Stelle sei am Ende. Mit einem Misstrauensvotum im Parlament will er Premier Giuseppe Conte das Vertrauen entziehen. Für den Journalisten Roman Maruhn ist klar: Die Regierung Conte wird fallen – und bei Neuwahlen will Salvini sein Popularitätshoch in politische Allmacht ummünzen.
SRF News: Wird sich Salvini mit diesem Misstrauensvotum durchsetzen können?
Roman Maruhn: Es sieht so aus. Die Lega ist essentiell für diese Koalition. Auch wenn es rein rechnerisch in beiden Parlamentskammern noch andere Mehrheiten gäbe. Es ist aber unwahrscheinlich, dass andere Parteien der Regierung zur Seite springen werden. Die Regierung Conte wird fallen.
Premier Conte wirft Salvini vor, dieser wolle aus seiner momentanen Beliebtheit Kapital schlagen und dränge deshalb auf Neuwahlen. Sehen Sie das auch so?
Salvini rechnet nach dem überzeugenden Wahlergebnis bei der Europawahl mit dem Maximum an Zustimmung in der Bevölkerung. Für ihn ist der Zeitpunkt gekommen, die Koalition zu beenden.
Die Lega könnte bei Neuwahlen vielleicht sogar in beiden Kammern eine Mehrheit holen.
Zumal als nächste politische Entscheidung eine Verkleinerung beider Parlamentskammern zur Diskussion stand. Diese Entscheidung hätte Neuwahlen erst wesentlich später möglich gemacht, wohl im Frühjahr 2020.
Salvini und seine Lega geniessen in aktuellen Umfragen eine Zustimmung von 37 Prozent. Wie könnten Neuwahlen herauskommen?
Wie sich das aktuelle Stimmungsbild bis zu einem Wahltermin in zwei, drei Monaten entwickelt, ist fraglich. Vermutlich wird die Lega aber stärkste Partei. Mit dem aktuellen Wahlsystem-Mix zwischen Proportional- und Mehrheitswahlkreisen könnten diese 37 Prozent dazu führen, dass die Lega alleine eine Mehrheit stellen könnte. Zumindest in einer Kammer, vielleicht sogar in beiden.
Was könnte Salvinis Popularität schmälern?
Er hat eine persönliche Agenda: die Frage der unkontrollierten Einwanderung, der Flucht über das Mittelmeer, zu lösen. Salvini hat zwar die Häfen geschlossen und macht den NGOs, die versuchen, Schiffbrüchige zu retten, das Leben schwer. Er hat es aber nicht geschafft, die Küsten und Seewege zu sichern. Es gibt eine anhaltende Immigrationsbewegung kleinerer Gruppen.
Conte war von allen Beteiligten derjenige der am wenigsten politische Macht hatte. Das ist die grosse Tragik und Komik an dieser Figur.
Vermutlich hat Salvinis Vorgehen das Problem noch verschärft. Auf dem Papier sagt Salvini aber, er habe das Problem gelöst. Doch die Sicherheitsfrage ist überhaupt nicht geklärt. Das ist ein Debakel für ihn – denn mit dieser Frage verbindet er seine politische Existenz.
Welche Rolle spielt Premier Conte als Parteiloser in der aktuellen Krise zwischen Lega und Cinque Stelle?
Sein grosser persönlicher Fehler war es, dass er von allen Beteiligten derjenige war, der am wenigsten politische Macht hatte. Das ist die grosse Tragik und Komik an dieser Figur. Er war eine Lösung, um dieser eigenartigen Koalition aus Lega und Cinque Stelle ein Gesicht zu geben und sie national und international akzeptabel zu machen.
Werden auch die Cinque Stelle in der Versenkung verschwinden?
Ich denke, sie werden eine politische Zukunft haben. Sie müssen aber damit rechnen, nicht mehr die entscheidende politische Kraft im Land zu sein. Die Regierungsarbeit hat der Bewegung mehr geschadet als der Lega. Das zeigen die Umfragen. Sie muss sich fragen, wo sie sich verorten will und wer Freund und Feind im politischen Lager ist.
Das Gespräch führte Roger Brändlin.