SRF News: Urs Morf, warum will China die Seidenstrasse auf Biegen und Brechen?
Urs Morf: China verfolgt mit der neuen Seidenstrasse drei Ziele. Zum einen möchte man die Überkapazitäten im eigenen Land abbauen. Zum zweiten versucht sich Peking in der freundlichen Umarmung von Ländern, die China in der Geschichte nicht immer wohlgesonnen waren. Und drittens will sich China mit diesem Projekt wirtschaftlich, kulturell und politisch endgültig wieder zur Nummer eins in der Welt machen.
Die Wirtschaft boomt. Wieso gibt es in China Überkapazitäten?
Die Infrastruktur ist im Land in den letzten 30 Jahren massiv ausgebaut worden. Damit ist man nun allerdings weitestgehend fertig. Ohne neue Grossprojekte müssten massiv Arbeiter bei den Baufirmen, aber auch bei Stahl- und Zementherstellern, entlassen werden.
Verständlich, aber das Projekt kostet auch Geld?
Stimmt. Aber China übernimmt sich damit finanziell nicht. Das Land verfügt über gigantische Währungsreserven. Hinzu kommt: China braucht die Zeche gar nicht alleine zu bezahlen. Zur Finanzierung hat es eigens die «Asian Infrastructure Investment Bank» (AIIB) ins Leben gerufen. Sie ist als Konkurrenz zum Internationalen Währungsfonds und der Weltbank gedacht – nur dass darin die Chinesen statt der USA die Spielregeln bestimmen. Mittlerweile verfügt die AIIB über ähnlich viel Kapital wie die Weltbank. Zu den über 60 Geldgeber-Nationen gehören sämtliche Industriestaaten ausser Japan und den USA.
Also alles bestens?
Nein, denn es gibt auch in China Kritik. Zwar nur hinter vorgehaltener Hand, aber dafür auch in den höchsten Stellen. Selbst Leute aus dem Staatsapparat sind skeptisch.
Weshalb?
Weil es in China trotz einem neuen, riesigen Mittelstand noch immer Gebiete gibt, die vom Wohlstand noch nicht erfasst worden sind. Hinzu kommt die aktuelle Krise in der Stahlindustrie, wo schon längst zahlreiche Werke hätten geschlossen werden müssen, weil sie nicht mehr rentabel produzieren können.
Die neue Seidenstrasse
Aber was hat das mit der neuen Seidenstrasse zu tun?
Nun, die Kritiker würden diese milliardenschweren Investitionen viel lieber im Inland sehen als im Ausland. Eine populäre Forderung zwar, aber letztlich verfügen die Skeptiker über kein schlüssiges Konzept. Deshalb hält sich der Widerstand auch in Grenzen.
Kritik gibt es auch ausserhalb Chinas?
Indien ist nicht begeistert, weil man einfach aussen vor gelassen wird beim neuen Seeweg nach Europa. Stattdessen soll der neue Hochseehafen in Pakistan gebaut werden. Und alles, was das Nachbarland stärker macht, ist schlecht für Indien – so die Sichtweise in Neu-Delhi.
Durch das EU-Embargo ist Putin mehr oder weniger auf Gedeih und Verderb an China gebunden.
Und Kritik am Landweg gibt es nicht?
Offiziell noch nicht. Aber es ist klar, dass es Russland nicht gefallen kann, dass das Trassee quasi durch den russischen Hinterhof führt – also durch Staaten, die früher zur Sowjetunion gehörten und lange zur Einflusszone Moskaus zählten oder noch zählen.
Wieso hält Russland still?
Durch das EU-Embargo ist Putin mehr oder weniger auf Gedeih und Verderb an China gebunden. Seinem neuen Partner – unter anderem beim Gasdeal – mag er deshalb nicht vor den Kopf stossen. Muss er aber auch nicht, denn auch andere haben Probleme mit dem neuen Supertrassee. Zum Beispiel Putins neuer Freund Trump.
Wieso?
Die USA sehen es seit jeher kritisch, wie China versucht, seine alte Vormachtstellung in Asien zurückzuerobern und zu konsolidieren. Dass Peking die grösste und mächtigste Macht in Asien sein möchte, kann den USA weder geopolitisch noch wirtschaftlich gefallen.
Werden die Kritiker in Summe das Projekt verhindern können?
Davon gehe ich nicht aus. Bedenken habe ich vielmehr darin, ob sich das Ganze auch wirtschaftlich rechnet. Denn der Warenverkehr entwickelt sich immer mehr zur Einbahnstrasse. Sprich, China liefert Konsumprodukte und die Container gehen leer zurück. Das kann sich auf Dauer eigentlich nicht rechnen.
Sonst noch Bedenken?
Ich habe meine Zweifel, ob die neue Seidenstrasse in den zentralasiatischen Staaten, den ehemaligen Sowjetrepubliken, tatsächlich zu wirtschaftlicher Entwicklung führen wird. Wenn nicht, dann rasen einfach bald chinesische Highspeed-Güterzüge an einheimischen Viehzüchter-Nomaden und Baumwollpflanzern vorbei.
Aber da kann man sich doch bestimmt irgendwie arrangieren?
Chinesische Experten, Ingenieure, Diplomaten haben erfahrungsgemäss grosse Schwierigkeiten im Umgang mit kulturell völlig verschieden geprägten Bevölkerungen. Die Folge könnte sein, dass es bei den Stützpunkten, die zur Aufrechterhaltung der Infrastruktur nötig sein werden, zu anti-chinesischen Animositäten kommt. Von Peking wäre aber eigentlich erwünscht, dass die zentralasiatischen Regionen dank Erhöhung des allgemeinen Lebensstandards zu «china-freundlichen Zonen» werden.
Das Interview führte Uwe Mai.