2023 und 2024 sitzt die Schweiz am Tisch mit den Mächtigen und dies in anspruchsvollen Zeiten. Es gelinge der Schweiz gut, sich zu behaupten und ihre definierten Ziele zu verfolgen, sagt Pascale Baeriswyl, die Schweizer Botschafterin bei der UNO in New York.
SRF News: Seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine haben sich die Fronten im UNO-Sicherheitsrat weiter verhärtet. Nimmt der Druck auf die neutrale Schweiz zu, Stellung zu beziehen?
Pascale Baeriswyl: Der Druck im Sicherheitsrat ist grundsätzlich hoch, aber wir können ihm standhalten. Die Neutralität ist im Sicherheitsrat kein Thema. Hin und wieder kommt es vor, dass ein ständiges Mitglied versucht, uns als Vermittler einzuspannen. Ich sage dann, dass wir gerne helfen, aber nur, wenn auch die Weltmächte zu Kompromissen bereit sind.
Neutralität hat nie bedeutet, indifferent zu sein. Die Schweiz hat in Konfliktkontexten langjährige Positionen.
Diese Rolle wird von uns erwartet, aber nicht primär, weil wir neutral sind, sondern weil es unser natürliches Profil ist. Wir sind nicht mit dem grossen Megafon unterwegs, sondern wir ziehen diskret, aber erfolgreich die Fäden, etwa zu Bosnien oder Syrien oder im Sahel bei der Erneuerung des UNO-Büros. Dort können wir Beiträge leisten, und das wird auch sehr geschätzt.
Sie kamen also in diesem ersten Jahr nie in Clinch mit der Neutralität?
Nein, weil Neutralität ja nie bedeutet hat, indifferent zu sein. Wir haben immer zu Verletzungen des Völkerrechts Stellung bezogen. Die Schweiz hat in allen Konfliktkontexten langjährige Positionen, und diese sind auch bekannt. Solange wir sie kohärent vertreten, sind wir auch nicht angreifbar.
Sie sagten, der Druck im Sicherheitsrat sei hoch. Können Sie uns diesen Druck beschreiben?
Ich war mir aus der Zeit als Staatssekretärin Verhandlungen gewohnt, aber in der Regel nur mit einem oder zwei Partnern. Nun sitzt man aber mit allen Weltmächten gleichzeitig an einem Tisch und alle vertreten ihre Interessen. Das war für uns ein Lernprozess. Der Sicherheitsrat ist kein gemütlicher Ort!
Wir haben gelernt, unsere Positionen gradlinig zu vertreten, und das hat sich in vielen Dossiers auch ausbezahlt. Aus diesen Erfahrungen können wir lernen. Es ist wie ein Training für unser Personal, damit wir auch in Zukunft in einer anspruchsvollen Welt die Interessen der Schweiz vertreten können.
Wenn Sie auf das vergangene Jahr im Sicherheitsrat zurückschauen: Was war für Sie der grösste Erfolg?
Wir haben in den Dossiers zu Bosnien und Kolumbien viel erreicht. Wir haben unter der Leitung von Bundesrat Cassis eine Debatte zum Thema Vertrauen organisieren können, in einem Moment, als die Spannungen im Rat sehr gross waren.
Es gab immer wieder Highlights. Ich bin stolz auf mein Team, das hart gearbeitet hat.
Ausserdem haben wir eine Debatte zum Kernkraftwerk in Saporischja organisiert. Dort machten wir eine sogenannte «Shuttle Diplomacy»: Ein Hin und Her zwischen den Ukrainern und den Russen, mit dem Ziel, dass sie fünf Prinzipien respektieren, welche die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) entwickelt hat. Der Direktor der IAEA sagte uns kürzlich, das habe die Situation in Saporischja stabilisiert, allerdings mit dem Zusatz, dass sich das auch rasch wieder ändern könne, weil die Lage so fragil sei.
Auch im Bereich «Frauen, Frieden, Sicherheit» haben wir einiges erreicht, ebenso im Bereich «Klimasicherheit»: So konnten wir etwa die Klimaberaterinnen und Klimaberater in den Missionen stärken. Es gab immer wieder Highlights, und darum bin ich auch stolz auf mein Team, das hart gearbeitet hat.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.