In drei Jahren im Weissen Haus hat Donald Trump viel über den Haufen geworfen, was über Jahre gegolten hatte. Das gilt besonders in der Aussen- und Sicherheitspolitik und im Verhältnis zu Europa. Laut der deutschen Politologin Constanze Stelzenmüller, die seit Jahren für Denkfabriken in den USA arbeitet, gibt es jedoch eine Gegenbewegung.
SRF News: Kann man den USA als strategischem Verbündeten noch trauen?
Constanze Stelzenmüller: Die internationale Politik ist insgesamt weniger verlässlich geworden. Wir haben es mit einem amerikanischen Präsidenten zu tun, der die Sicherheits- und Welthandelspolitik absichtlich durcheinanderwirbelt. Europa bekommt den Eindruck, dass es sich nun um die eigene Sicherheit kümmern muss. Wir haben in Amerika aber durchaus noch Verbündete – in der Bevölkerung, wie auch in der Politik und in Institutionen. Das zeigen auch Umfragen, nach denen der normale Amerikaner sich zu internationalen Beziehungen und Institutionen bekennt.
USA und die Welt – Umfragen der Denkfabrik «Pew Research Center»
Welches Ereignis hat dieses Jahr die Beziehung am meisten beeinflusst?
Es waren viele. Das Umarmen von Autokraten wie Kim Jong-un oder Wladimir Putin zum Beispiel, aber auch die Ankündigung von Rückzügen aus Syrien und Afghanistan. All das hat Verbündete Amerikas nervös gemacht. Dazu kommt auch eine sehr aggressive Handels-Sanktions-Politik gegenüber China. Das hat alles auch Folgen für Europa: weil keine Region so abhängig ist von der Sicherheit im Mittleren und Nahen Osten und dem weltweiten Handel.
Donald Trump moniert ja oft, Europa habe Verteidigungsaufgaben an die USA ausgelagert und bezahle zu wenig für die Nato. Hat sich Europa zu stark auf die USA verlassen?
Wir haben uns 70 Jahre lang zu Recht auf die Amerikaner verlassen. Die militärische Unterstützung Amerikas hat aber Europa – indirekt auch der Schweiz – jahrzehntelang erlaubt, die eigenen militärischen Budgets zurückzufahren.
Realistisch bleiben nach wie vor erhebliche gemeinsame Interessen, die wir mit Peking oder Moskau nicht teilen.
Es bestand aber stets eine Einigkeit darüber, was mit der Nato bezweckt wurde. Das Bündnis war neben der militärischen auch eine diplomatische und eine Wertegemeinschaft. Realistisch bleiben nach wie vor erhebliche gemeinsame Interessen, die wir mit Peking oder Moskau nicht teilen. Was die Sicherheit betrifft, muss Europa aber wohl selbständiger werden, ganz unabhängig ist unrealistisch.
Nächstes Jahr sind in den USA Präsidentschaftswahlen. Was würde eine Wiederwahl Trumps bedeuten?
Eine Wiederwahl würde Trump ermutigen, seine sehr dezidierten Vorstellungen von amerikanischem Unilateralismus in der Welt weiter durchzusetzen. Es ist jetzt schon schwierig, genug Personal für seine Politik zu finden, deshalb wird er immer autokratischer und immer weniger mit kompetentem Personal handeln.
In den USA entsteht eine Art Gegen-Aussen- und Handelspolitik – zwischen Europa, Asien und einzelnen amerikanischen Metropolen und Bundesstaaten wie Kalifornien.
Gleichzeitig entsteht aber in den USA eine Art Gegen-Aussen- und Handelspolitik – zwischen Europa, Asien und einzelnen amerikanischen Metropolen und Bundesstaaten, die von erheblichem wirtschaftlichem und auch politischem Gewicht ist. Der Bundesstaat Kalifornien zum Beispiel hat eine enorme Wirtschaftsmacht und investiert gerade massiv in die internationale Klimapolitik.
Also sollte man nicht allzu pessimistisch sein, was die Beziehungen der USA mit dem Rest der Welt angeht?
Ich will die Brisanz der gegenwärtigen Lage nicht minimieren. Aber ich glaube, man muss auch die Gegenkräfte sehen, die es in Amerika gibt. Das sehen wir auch im Impeachment-Verfahren, bei der Klimapolitik, bei der Handelspolitik und in den Reaktionen auf diverse Aspekte der Aussen- und Sicherheitspolitik.
Das Gespräch führte Beat Soltermann.