Zwei Drittel der afghanischen Bevölkerung sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Die Not ist gross und nimmt sogar zu. Seit dem Abzug der Nato-Truppen und der neuerlichen Machtergreifung der Taliban ist das Land aber weitgehend aus dem Scheinwerferlicht verschwunden. Viele Regierungen und humanitäre Organisationen haben sich zurückgezogen. Die UNO ist zwar weiterhin vor Ort. Doch ihre Spendenaufrufe für Afghanistan finden, wie UNO-Generalsekretär Antonio Guterres neulich beklagte, kaum noch Widerhall. Weniger als sieben Prozent der benötigten Mittel kamen zusammen.
Das hängt massgeblich damit zusammen, dass das Talibanregime international geächtet ist. Die Kooperation ist dadurch naturgemäss erschwert. Und viele potenzielle Geldgeber befürchten, durchaus nicht grundlos, mit humanitärer Hilfe würden sie zugleich die Radikalislamisten unterstützen. Gleichwohl ruft Guterres zu mehr Engagement auf.
Bericht: Isolierung kein Rezept
Die Nachbarländer wollen ebenfalls mit den Taliban zusammenarbeiten – etwa bei der Terror- oder Drogenbekämpfung, aber auch, weil sie Afghanistans Rohstoffe ausbeuten wollen. Ein Bericht, verfasst vom früheren türkischen UNO-Botschafter Feridun Sinirlioglu, gelangt nun zum Schluss, die anhaltende Isolierung des Talibanregimes sei kein Rezept. Das Dokument kann als Aufforderungen an den UNO-Sicherheitsrat verstanden werden, die Taliban offiziell als Regierung anzuerkennen.
Noch vertritt jedoch Naseer Faiq Afghanistan bei der UNO. Er repräsentiert die frühere, weggeputschte Regierung, und er lehnt eine Anerkennung des Taliban-Machthabers durch die Vereinten Nationen entschieden ab: «Es gibt keinerlei Signale, dass die Taliban nach ihrer Rückkehr an die Macht gemässigter auftreten.» Entsprechende weit verbreitete Hoffnungen haben sich zerschlagen. Auch Sima Bahous, Chefin der UNO-Organisation für Frauen, spricht von einem «noch nie dagewesenen Angriff auf die Rechte der Frauen. Die Lage verschlechtert sich sogar noch weiter. Frauenfeindliche Dekrete werden immer rigoroser durchgesetzt.» Auch Guterres betont: «Wir dürfen darüber nicht schweigen.»
Anerkennung rückt näher
Im jüngsten UNO-Bericht wird gefordert, die Taliban müssten in der Frauenfrage Entgegenkommen signalisieren, damit im Gegenzug ihre internationale Isolierung beendet werde. Doch konkrete Forderungen stehen da keine. Und die religiösen Fanatiker stellen sich taub gegenüber jeglicher Kritik. «Die Welt muss unsere Regierung so oder so anerkennen. Wir sind die Führung in Kabul», sagte ihr Sprecher Abdul Qahar Balkhi gegenüber der Deutschen Welle. Gegenleistungen bietet er keine. Die afghanische Bevölkerung stehe hinter den Taliban genau wegen dem, was sie täten. Da dürften die Frauen kaum mitgemeint sein. Es ist nicht anzunehmen, dass sie diese Einschätzung teilen.
Trotz ihrer Unnachgiebigkeit rückt eine Anerkennung des Talibanregimes als rechtmässige Vertretung Afghanistans in der UNO näher. Der Sicherheitsrat könnte sehr bald so entscheiden. Prinzipien sind in der Politik oft weniger gewichtig als Pragmatismus. Die Isolierung eines Regimes, mag es noch so menschenverachtend sein, ist auf Dauer schwer durchzuhalten.