Als friedfertig, hilfsbereit und ruhig beschreiben sich Kanadierinnen und Kanadier gerne. Doch wenn man derzeit auf den Strassen der Wirtschaftsmetropole Toronto das Thema Trump anspricht, dann bricht eine ganze Palette von Emotionen aus ihnen heraus.
Trump verknüpft Zölle mit Unabhängigkeit
«Es ist ungeheuerlich. Furchteinflössend. Wir Kanadier können über nichts anderes mehr sprechen. Wir haben Angst und sind wütend», sagt Susan Willemsen, Inhaberin einer PR-Agentur. «Wir werden kein Bundesstaat der USA werden, niemals!», sagt Andrew Greyson und schüttelt heftig den Kopf. «Trump ist schlicht verrückt!»
Natalie Ferguson, die in der Finanzbranche arbeitet, hat bereits begonnen, die USA zu boykottieren: «Derzeit kaufe ich Produkte von ausserhalb der USA und werde nur noch ausserhalb der USA auf Reisen gehen.»
In Kanada sehen viele Menschen ihren Nachbarn als Bedrohung, seit Donald Trump wieder an der Macht ist. Am WEF wiederholte der US-Präsident, was er schon mehrfach verkündet hatte: «Wir haben ein grosses Handelsdefizit mit Kanada. Das geht so nicht. Ich weiss nicht, ob das gut ist für sie, aber sie können ein Bundesstaat der USA werden. Dann werden wir euch nicht mit Zöllen belegen müssen.»
Zuvor hatte Trump seine Zolldrohung auch damit begründet, dass Drogen wie Fentanyl aus Kanada über die Grenze in die USA kämen. Bereits im Dezember hat die kanadische Regierung knapp eine Milliarde US-Dollar gesprochen für den Grenzschutz, um Trump entgegenzukommen. Laut Kanadas Regierungschef Trudeau kommen nur etwa ein Prozent der illegal in die USA geschmuggelten Drogen aus Kanada.
Kanada exportiert hauptsächlich in die USA
Kanada ist verletzlich. Die Wirtschaft ist stark verflochten mit den USA. Autoteile etwa werden mehrfach über die Grenze hin- und hertransportiert. Durchgehende US-Zölle gegen kanadische Güter könnten eine Rezession auslösen.
Dabei gebe es gar kein Handelsdefizit der USA, wenn man Dienstleistungen miteinbeziehe, argumentiert Simran Singh, Politikverantwortlicher der Handelskammer der kanadischen Provinz Ontario. US-Zölle hätten gravierende Auswirkungen auf die kanadische Wirtschaft.
Viele Unternehmen seien erst gerade wieder auf die Füsse gekommen nach der Pandemie, sagt Singh. «Kanada ist abhängig vom Handel. Und 75 Prozent unserer Exporte gehen in die USA. Bereiche wie Automobilindustrie und Zulieferer, Forstwirtschaft, Landwirtschaft und Energie sind besonders dem Handel ausgesetzt. Sie werden Auswirkungen spüren durch Probleme mit Lieferketten und möglichem Stellenabbau.»
Kanadas Regierungschef Trudeau setzt vorerst auf Diplomatie. Hinter den Kulissen versuchen die kanadische Regierung und Vertreter der kanadischen Provinzen die Entscheidungsträger in den USA zu überzeugen.
Doch Trudeau ist geschwächt, wird sein Amt demnächst abgeben. Im Vergleich zu Trump wirkt er zahm, wenn er etwa sagt: «Wenn die US-Regierung tatsächlich mit solchen unfairen und ungerechtfertigten Zöllen Ernst macht, wird Kanada darauf antworten.»
Kanadas Strategien gegen die Wirtschaftsmacht USA
Bereits unter seiner letzten Präsidentschaft verhängte Trump Zölle gegen Kanada. Doch die Situation jetzt sei viel ernster, sagt Brian Topp, der die kanadische Regierung in den Verhandlungen mit Trump berät. «Zu drohen, unsere Wirtschaft zu zerstören, ausser wenn wir unsere Unabhängigkeit aufgeben, ist absolut inakzeptabel. Es ist inakzeptabel, so über einen Nato-Verbündeten, den engsten Nachbarn und Handelspartner zu sprechen.»
Uns hilft, dass Herr Trump gleichzeitig mehrere Länder angreift, und auch die Europäische Union. Das ist eine Chance, Verbündete zu finden.
Wie ernst es Trump ist – oder ob es eine leere Drohung ist, um Druck zu machen für Verhandlungen – das ist die grosse Frage für Topp.
Doch wie kann Kanada sich gegen die zehnmal grössere Wirtschaft der USA wehren?
Die Provinz Ontario exportiert Strom in Grenzregionen der USA. Die Provinz Alberta liefert viel Öl in die USA. Vier Millionen Barrel pro Tag exportiert Kanada in die USA. Weil viele US-Raffinerien auf kanadisches Schweröl ausgelegt sind, kann es auch nicht sofort durch US-Leichtöl ersetzt werden.
Kanada exportiert auch Aluminium, Stahl und seltene Erden – alles wichtige Rohstoffe. «Wir können über Exporte von Energie und anderem den USA schweren Schaden zufügen», sagt Topp.
Zugleich schränkt er ein: «Wir würden das nur als letzte Notmassnahme ergreifen. Denn wir haben einen Ruf als verlässlicher Lieferant. Wenn man den einmal aufgibt, ist er für immer weg.» Für Kanada sind Ölexporte eine wichtige Einnahmequelle.
Viel eher könnten zunächst bestimmte symbolträchtige US-Produkte ins Visier von Kanada geraten – wie etwa Orangensaft aus Florida oder Bourbon aus Kentucky.
Ontarios Gouverneur, Doug Ford, droht etwa: «Ich sagte zum Gouverneur von Kentucky: Sie müssen mit Ihrem Präsidenten reden, denn als Erstes geht es Ihrem Bourbon an den Kragen. Wenn diese Zölle kommen, werden wir den gesamten US-Schnaps aus den Regalen nehmen.»
US-Unternehmer fürchten höhere Kosten
Bourbon-Hersteller in Kentucky – einem konservativen Bundesstaat – könnten erste Opfer werden im Handelskrieg aufseiten der USA. «Bourbon ist eine der herausragendsten und grössten Industrien in Kentucky», erklärt Autumn Nethery, Mitinhaberin der Jeptha Creed Bourbon Brennerei. «Wir schaffen viele Jobs. Wenn es uns schlecht geht, betrifft das Hunderttausende, die in diesem Bundesstaat leben und arbeiten.»
Autumn Nethery erinnert sich mit Schrecken an den letzten Handelskrieg. Zwar exportiert ihre kleine Brennerei kaum ins Ausland, doch Zölle bedeuten steigende Kosten für sie, etwa für Stahl für ihre Tanks und andere Importgüter. «Nur schon 25 Prozent Zölle auf Güter aus einem Land, wo unsere Korkzapfen herkommen, bedeutet einen massiven Kostenanstieg für uns», sagt sie und fügt an: «Ich hoffe, dass die Zölle nicht in Kraft treten. Denn Zölle helfen niemandem.»
Das Ziel sei, dass etwa Bourbon-Hersteller in Kentucky oder Orangensaft-Produzenten in Florida die Republikanischen Kongressabgeordneten von ihrem Bundesstaat überzeugten, dass Zölle eine schlechte Idee seien, sagt Politstratege Topp. Und die wiederum bei der Trump-Regierung gegen Zölle lobbyieren.
Topp sieht noch einen weiteren vielversprechenden Weg: «Uns hilft, dass Herr Trump gleichzeitig mehrere Länder angreift, und auch die Europäische Union. Das ist eine Chance, Verbündete zu finden.»
Simran Singh von der Handelskammer empfiehlt kanadischen Unternehmen bereits jetzt ihre Lieferketten zu überprüfen und Puffer einzubauen. «Es ist wichtig, dass unsere Unternehmen über den US-Markt hinaus schauen und sich breiter aufstellen.»
Es sind bewegte Zeiten für Kanada. Voraussichtlich im Mai soll es Neuwahlen geben. Im Wahlkampf wird die Frage, wie sich Kanada gegen Trump positionieren soll, im Zentrum stehen. Die Chefs der Provinzen sind sich nicht einig über die Strategie. Das erschwert das Powerplay mit Trump, der sich kaum ohne ein Zugeständnis Kanadas zufriedengeben wird.