Was sich zwischen Russland und der Ukraine derzeit entwickelt, löst Sorge aus: Moskau verlegt zehntausende Soldaten und schwere Waffen in verschiedene Grenzregionen zur Ukraine. Kiew befürchtet einen Angriff der Russen ab Ende Januar – was Russland dementiert. Auch der Osteuropa-Historiker Wilfried Jilge sieht dunkle Wolken aufziehen.
SRF News: Teilen Sie die Sorgen der Ukrainer, dass Russland einen Krieg starten will?
Wilfried Jilge: Heute kann man wohl noch keine akute Kriegsgefahr ableiten, doch die Truppenkonzentration ist zweifelsohne beunruhigend. Sie dient offensichtlich der Einschüchterung der Ukraine. Beunruhigend ist auch die Aktivierung einer erheblichen Anzahl von Reservisten in Russland.
Welche Motivation hat Russland, den Druck auf die Ukraine gerade jetzt dermassen zu erhöhen, dass Kriegssorgen aufkommen?
Russland betreibt schon seit Anfang Jahr eine aktive Destabilisierungspolitik gegenüber der Ukraine. So war die russische Truppenkonzentration an der Grenze zur Ukraine im Frühling noch grösser als jetzt.
Russland betreibt eine aktive Destabilisierungspolitik gegenüber der Ukraine.
Auch sperrte Russland vor der ukrainischen Küste weite Seegebiete völlig völkerrechtswidrig, um die Ukraine einzuschüchtern und zu Zugeständnissen im Minsker Prozess zu zwingen. Russland will im umstrittenen ostukrainischen Donbass-Gebiet einen derart grossen Einfluss behalten, dass Kiew den Weg in Richtung Westen gar nicht fortsetzen kann.
Wie viel Wert ist die Solidaritätsbekundung der USA gegenüber der Ukraine?
Die Unterstützung ist durchaus etwas wert. So ist die amerikanische und britische Hilfe für die Ukraine zum Aufbau eines Küstenschutzes im Süden durchaus wichtig, indem sie den Preis für die Russen erhöht, falls sie sich tatsächlich zu einer Invasion würden hinreissen lassen. Ein solcher Angriff würde für Moskau sicher blutig und unkalkulierbar, denn die ukrainische Armee hat sich in den letzten Jahren erheblich gewandelt.
Die Ukraine könnte einen Angriff Russlands nicht völlig abwehren.
Doch klar ist auch, dass die Asymmetrie so gross ist, dass die Ukraine einen Angriff der Russen nicht völlig würde abwehren können.
Die EU hat ein Assoziierungsabkommen mit der Ukraine – wie soll sie sich in dieser angespannten Lage verhalten?
Sie sollte vor allem die innere Resilienz der Ukraine stärken. Also den Rechtsstaat verbessern und darauf drängen, dass der Sicherheitssektor weiter in Richtung Transparenz reformiert wird. Auch bei der Unterstützung gegen Cyberattacken und bei der Abwehr von Desinformationskampagnen kann die EU noch viel tun.
Die EU sollte vor allem die innere Resilienz der Ukraine stärken.
In der Ukraine sitzen immer noch von Oligarchen abhängige Richter an Schlüsselstellen. Sie sind gleichzeitig Einfallstore für schädlichen Einfluss von aussen. Die westlichen Partner sollten die Aufgaben also aufteilen um die Ukraine einerseits im Innern fest und attraktiv zu machen und die äussere Sicherheit zu stärken.
Das Gespräch führte Daniel Hofer.