Xenia Tscherwanjowa packt ihre beiden Hündchen und macht sich auf den Weg in ihre Wohnung. Neun Stockwerke muss sie hoch. Der Lift funktioniert nicht, weil es im Haus wieder einmal keinen Strom gibt.
Denn auch in ihrem Wohnort in Kiew wird regelmässig der Strom abgestellt. Das macht selbst unter Tag das Leben mühsam.
Tscherwanjowa führt durch ihre Wohnung. Der Kühlschrank funktioniert nicht, im Korridor gibt es kein Licht und das Internet funktioniert ebenfalls nicht. «Ohne Internet kann man nichts lesen – und schon gar nicht arbeiten. Das Leben bleibt ohne Strom einfach stehen», sagt die Frau.
Viele Kraftwerke zerstört
Im dritten Kriegsjahr ist die ukrainische Energieinfrastruktur schwer beschädigt. Die Menschen versuchen sich zu behelfen, wie es geht. In ganz Kiew gehört inzwischen das Dröhnen von Dieselgeneratoren vor Geschäften und Restaurants zur Geräuschkulisse.
Wir besuchen eine Baustelle des Stromnetzbetreibers DTEK und treffen dort Juri Herasko. Er ist zuständig für die Stromverteilnetze in Kiew und muss den Strommangel irgendwie verwalten. «Von den grossen Wärmekraftwerken in der Ukraine sind 70 bis 90 Prozent zerstört, von den Wasserkraftwerken etwa 70 Prozent», sagt Herasko.
Russland hat systematisch die ukrainische Energieinfrastruktur angegriffen. Ziel des Kreml ist es, dass der Strom- und Wärmemangel die Zivilbevölkerung demoralisieren soll.
Netzbetreiber Detek versucht, die Abschaltungen in Kiew wenigstens für die Bevölkerung planbar zu machen. Online ist für jedes Haus ein Stundenplan abrufbar, wann es Strom gibt – und wann nicht.
Noch lässt sich das Strom-Chaos einigermassen administrieren. Mit Sorge schauen aber viele Ukrainerinnen und Ukrainer auf den Winter. Die Prognose von DTEK-Manager Herasko ist nicht gerade beruhigend: «Wenn es keine neuen Zerstörungen gibt am Energiesystem, dann kommen wir durch den Winter. Sollten die systematischen Angriffe aber weitergehen, dann wird es hart.»
Die Nerven von Hundebesitzerin Tscherwanjowa jedenfalls liegen jetzt schon blank: «Diese Halunken quälen uns, dabei sind wir einfache, friedliche Leute», und sie stapft weiter die Treppe hoch.