In vielen Teilen der Ukraine fällt immer wieder der Strom aus. Grund sind regelmässige russische Angriffe auf die Energieversorgung: 40 Prozent der Energieinfrastruktur sind laut offiziellen Angaben bereits zerstört worden. Die wichtigsten Fragen beantwortet von Wolodimir Kudrytskyi, Chef des ukrainischen Netzbetreiber Ukrenergo.
SRF News: Was ist das Hauptproblem mit der Stromversorgung in der Ukraine?
Wolodimir Kudrytskyi: Seit September haben wir keinen Zugriff mehr auf das AKW Saporischschja (es ist unter russischer Besatzung – Anm. der Red.), wir haben aber auch mehrere E-Werke verloren, die aus Kohle oder Gas Strom produzieren. Dadurch ist ein Strommangel entstanden.
Wir als Netzbetreiber müssen teilweise privaten Haushalten oder Firmen den Strom abstellen, damit das Netz insgesamt nicht zusammenbricht.
Unter diesen Umständen kann unsere Nation nicht mehr den Luxus geniessen, jederzeit mit genügend Strom versorgt zu werden. Wir als Netzbetreiber müssen teilweise private Haushalte oder Firmen den Strom abstellen, damit das Netz insgesamt nicht zusammenbricht.
Wie gehen die Reparaturen voran?
Wir reparieren das Netz relativ schnell. Wir haben es nach jedem Grossangriff – wir sprechen hier von 50 bis 100 Raketen aufs Mal – geschafft, innerhalb eines Tages 95 Prozent der Stromnutzer wieder ans Netz anzuschliessen.
Ich bin sicher, dass russische Energiespezialisten dahinterstecken, die unser Stromnetz gut kennen.
Unsere Reparaturteams arbeiten 24 Stunden während sieben Tagen, zudem hatten wir ein ziemlich grosses Lager an Ersatzteilen. Allerdings sind die Zerstörungen so gross, dass jedes Ersatzteillager irgendwann leer wäre.
Warum sind die russischen Angriffe so zielgerichtet?
Die Art und Weise und auch die Geografie der russischen Angriffe zeigen uns, dass es den Russen darum geht, möglichst viel Schaden anzurichten, das heisst, möglichst viele Menschen von der Stromversorgung abzuschneiden. Gewöhnliche Militärs wüssten nicht, welche Ziele man dafür angreifen muss.
Ich bin deswegen sicher, dass dahinter russische Energiespezialisten stecken, die unser Stromnetz gut kennen. Sie sind in meinen Augen genauso schuldig wie die Militärs, die auf den Abschussknopf der Raketen drücken. Meine Firma hat schon drei Mitarbeiter verloren bei diesen Attacken. Diese Leute sind also Mörder.
Welche Hilfe bekommt die Ukraine aus dem Westen?
Wir arbeiten eng mit europäischen Netzbetreibern zusammen, übrigens auch mit Swissgrid, um herauszufinden, welche Ersatzteile wir von ihnen beziehen könnten.
Alle unsere Mitarbeiter wissen, dass wir eine wichtige Mission haben und dadurch zum Sieg der Ukraine beitragen.
Es gibt auch die Möglichkeit, dass wir Strom aus Europa importieren. Technisch wäre das kein Problem, das Problem ist einzig, dass der Strom in Europa viel teurer ist als in der Ukraine. Es ist also eine ökonomische Frage.
Der Hauptsitz von Ukrenergo wurde schon mehrfach mit Raketen angegriffen. Wie gehen Sie damit um, dass Ihre zivile Firma plötzlich ein Kriegsziel geworden ist?
Wir von Ukrenergo dienen nicht auf dem Schlachtfeld, aber es ist eine grosse Ehre für uns, dass wir an der Energiefront kämpfen. Ich denke, alle unsere Mitarbeiter wissen, dass wir eine wichtige Mission haben und dadurch zum Sieg der Ukraine beitragen.
Das Gespräch führte David Nauer.