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«Grosser Balanceakt»: Macrons Besuch in Algerien
Aus Echo der Zeit vom 27.08.2022. Bild: Keystone
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Ehemalige französische Kolonie Macron auf Besuch in Algerien: «Ein grosser Balanceakt»

Am Samstag hat der Besuch von Frankreichs Präsident Emanuel Macron in Algerien geendet. Es war keine einfache Reise, Macron musste Wogen glätten, in den letzten Monaten gab es einige diplomatische Verstimmungen zwischen Frankreich und seiner ehemaligen Kolonie. Isabelle Werenfels, Maghreb-Spezialistin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, schätzt Macrons Besuch in Algerien und dessen Auswirkung auf die Beziehung der beiden Staaten ein.

Isabelle Werenfels

Maghreb-Expertin, Stiftung Wissenschaft und Politik

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Die Schweizerin Isabelle Werenfels ist Maghreb-Expertin bei der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) mit Sitz in Berlin.

SRF News: Wie wird Macron in Algerien wahrgenommen?

Isabelle Werenfels: Insgesamt wird Macron sehr skeptisch gesehen. Das war 2017 im Wahlkampf noch anders. Damals sagte er, der Kolonialismus sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das hat ihm viel Sympathien eingetragen. Dann aber kam sein Umgang mit Muslimen. Seine Äusserungen zum Islam in Frankreich haben schon viele skeptisch gemacht. Und im vergangenen Jahr, als er sagte, Algerien sei vor dem Kolonialismus keine Nation gewesen, hat er wirklich ganz Algerien gegen sich aufgebracht.

In den sozialen Medien in Algerien sieht man zudem, dass politische Aktivisten, die eher oppositionell sind, Macron kritisieren, weil er sich nicht zu politischen Gefangenen und zur Einschränkung der Meinungsfreiheit äussert.

Der französische Präsident Emmanuel Macron schüttelt dem algerischen Präsidenten Abdelmadjid Tebboune die Hand
Legende: Der französische Präsident Emmanuel Macron schüttelt dem algerischen Präsidenten Abdelmadjid Tebboune im Präsidentenpalast in Algier die Hand (25. August 2022). Reuters/Handout Algerian Presidency

Was wird denn in Algerien von Frankreich erwartet?

Bei der Bevölkerung geht es um Visa, um Mobilität. Da hat sich Macron geäussert, wenn auch sehr vage. Letztes Jahr sind die Visa eingeschränkt worden und die Algerier wünschen sich natürlich wieder eine Erweiterung der Quoten. Dann geht es der Bevölkerung auch um Reparationen für die Verbrechen des Kolonialismus. Ganz wichtig dabei: Es gab Atomtests zwischen 1960 und 66, die Bevölkerung möchte da mehr dazu wissen, um die Dekontaminierung vorantreiben zu können.

Der Regierung ist es sehr wichtig, dass Frankreich nicht auf die marokkanische Position im Westsahara-Konflikt umschwenkt, wie das Spanien gemacht hat. Der marokkanische König hat dazu letzte Woche gesagt, wer mit Marokko eng kooperieren wolle, müsse sich der marokkanischen Position annähern. Und da will Algerien Gegensteuer geben.

Der italienische Präsident war letztes Jahr in Algerien. Er ist Macron also zuvorgekommen.

Welche Rolle spielt das algerische Erdgas bei den aktuellen Annäherungsversuchen von Präsident Macron?

Erdgas spielt im Moment sicher eine riesige Rolle. Es gibt aber keine direkte Pipeline nach Frankreich. Es hat ein Treffen gegeben zwischen dem Energieminister und französischen Firmen gegeben. Es ist aber unklar, wie viel mehr Gas Algerien liefern kann. Die Infrastruktur ist marode, also ist es eher mittelfristig interessant. Und vor allem hat Algerien in den vergangenen Monaten Verträge mit Italien abgeschlossen. Der italienische Präsident war letztes Jahr in Algerien. Er ist Macron also zuvorgekommen. Das ist den Franzosen ein Dorn im Auge. Und sicherheits- und geopolitisch will Frankreich Algerien nicht an Russland verlieren. Denn Algerien ist ein sehr enger Partner von Russland im Sicherheitsbereich.

Macron sagte ja, er wolle vor allem nach vorne schauen und die Zukunft gestalten. Will das auch Algerien?

Die Regierung und die älteren Generationen wollen vor allem eine Entschuldigung für die Verbrechen des Kolonialismus. Und auch die Eliten haben kein Interesse, die Vergangenheit wirklich ad acta zu legen, weil sie sich immer noch über die Revolution legitimieren. Macron hat wohl versucht, damit die Jüngeren anzusprechen. Und die werden da auch zuhören. Das Ganze ist also ein grosser Balanceakt für Macron: Die junge Generation gleichzeitig zu ermutigen, sich von der Vergangenheit zu lösen, und die Älteren nicht gegen sich aufzubringen.

Letztlich geht es darum, dass die Franzosen die Verbrechen, die sie begangen haben, in ihrer Gesellschaft offensiv diskutieren und sich dafür entschuldigen.

Die Geschichte soll nun auch mit einer Historikerkommission aufgearbeitet werden. Wie wichtig ist das?

Dass die Archive geöffnet werden, ist eminent wichtig. Die Frage ist nur: Werden sicherheitsrelevante Dokumente, etwa über die Atomtests, zugänglich gemacht? Auch sagen viele Historiker, es gäbe eigentlich genug Wissen. Letztlich geht es darum, dass die Franzosen die Verbrechen, die sie begangen haben, in ihrer Gesellschaft offensiv diskutieren und sich dafür entschuldigen. Und das ist für Macron wahnsinnig schwer, weil die Gruppe der Algerien-Veteranen sehr stark ist und die sonst rechts abrutscht. Die will er bei der Stange halten.

Das Gespräch führte Simone Hulliger.

Echo der Zeit, 27.08.2022, 18 Uhr ; 

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