Obwohl die EU-Kommission im Oktober erneut bestätigt hat, dass der Kosovo alle Bedingungen für eine visumfreie Einreise erfüllt, brauchen die Bürgerinnen und Bürger von Kosovo nach wie vor eins. Journalist Enver Robelli sagt, wie das Land damit umgeht.
SRF News: Kosovo ist das einzige Land in Europa, für das noch eine Visumpflicht zur Einreise in die EU besteht. Wie kommt das im Land an?
Enver Robelli: Man fühlt sich ungerecht behandelt. Der Visumszwang wurde zu Beginn der 90er-Jahre eingeführt, vor fast 30 Jahren, als der Zerfall Jugoslawiens begann. Dann wurden dem Land in einem schikanösen Prozess ständig neue Bedingungen auferlegt. Die Leute sind frustriert, dass einzelne Staaten wie Frankreich die Aufhebung der Visumspflicht blockieren. Mit Ausnahme Russlands und Weissrussland ist Kosovo das einzige Land in Europa, dessen Bürger noch keine Reisefreiheit in den Schengenraum geniessen.
Die Leute werden weiterhin vor den Botschaften Schlange stehen, auch vor der Schweizer Botschaft in Pristina, um ein Visum zu beantragen.
Vorerst bleibt die Visumspflicht bestehen. Was bedeutet das für die Kosovarinnen und Kosovaren?
Die Leute werden weiterhin vor den Botschaften Schlange stehen, auch vor der Schweizer Botschaft in Pristina, um ein Visum zu beantragen. Gleichzeitig verliert die EU an Glaubwürdigkeit in der Region. Allein in den vergangenen 20 Jahren haben die Bürger Kosovos 180 Millionen Euro für Visagebühren ausgegeben. Das sind fast 10 Prozent des Jahreshaushalts von Kosovo.
Die Visumfreiheit braucht Einstimmigkeit im Europäischen Rat. Warum ist es Kosovo bis jetzt nicht gelungen, alle Mitglieder auf seine Seite zu ziehen?
Einige Staaten wie Frankreich, die Niederlande oder Dänemark blockieren die Visaliberalisierung rein aus politischen Gründen. Die regierenden Politiker in diesen Staaten haben Angst vor rechten oder rechtsextremistischen Parteien, die das Thema Migration populistisch ausschlachten. Kosovo hat in den letzten Jahren alle Bedingungen erfüllt, und das wird immer wieder auch von der EU-Kommission bestätigt und bescheinigt.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron steht einer EU-Erweiterung und einer besseren Integration der Balkanstaaten Europa sehr skeptisch gegenüber.
Warum sind denn die Beziehungen zwischen Frankreich und Kosovo so angespannt?
Angespannt sind die Beziehungen Frankreichs zu allen Balkanstaaten. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron steht einer EU-Erweiterung und einer besseren Integration der Balkanstaaten Europa sehr skeptisch gegenüber. Er fordert zunächst eine Reform der EU-Institutionen, um die EU vielleicht eines Tages aufnahmefähig für andere Staaten zu machen.
Frankreich befürchtet eine neue Migrationswelle, falls diese Visumfreiheit eingeführt wird. Für wie realistisch halten Sie so eine Entwicklung?
Es wird sicher Leute geben, die versuchen werden, mit einem Schengen-Visum dauerhaft in Europa Fuss zu fassen.
Die Ängste, dass es zu einer Fluchtwelle aus Kosovo kommen könnte, sind unbegründet.
Doch Kosovo hat sich wie alle Staaten der Region dazu verpflichtet, Missbrauch zu bekämpfen und eigene Staatsbürger wieder aufzunehmen, wenn sie die Aufenthaltsregeln nicht respektieren. Ich glaube, die Ängste, dass es zu einer Fluchtwelle aus Kosovo kommen könnte, sind unbegründet.
Am Donnerstag war EU-Präsidentin Ursula von der Leyen zu Besuch in der Hauptstadt Pristina und betonte, dass Kosovo die Visumfreiheit erhalten soll. Ist das ein Hoffnungsschimmer?
Das hat Kosovo gerne gehört. Aber viele Menschen haben mittlerweile wirklich die Hoffnung verloren und auch einen Sinn für schwarzen Humor entwickelt. Man fühlt sich ein wenig wie im Theaterstück «Warten auf Godot».
Das Gespräch führte Nicolas Malzacher.