Etwa fünf Tage hat Sophie Bouchard-Stech seit dem Prozessauftakt im Justizpalast von Paris zugebracht. Was die Rechtsanwältin aus Dijon am Prozess erlebte, hat ihren Blick auf den Anschlag verändert. Bereits die Befragung der Sicherheitskräfte, die im Konzertlokal zum Einsatz gekommen waren, brachten neue Informationen.
Erst nach diesen Aussagen habe sie verstanden, was im Innern des Bataclan wirklich geschehen war. Vorher habe sie zwar viel gehört, aber auch viel Falsches. Die Aussagen der Sicherheitskräfte hätten dies korrigiert und gezeigt, wie gefährlich der Einsatz gewesen sei.
So sei auch verständlich geworden, warum der Einsatz bis um Mitternacht gedauert habe. Nicht, weil die Sicherheitskräfte zu spät gekommen seien, sondern weil sie sich im besetzten Bataclan nur langsam vorkämpfen konnten.
Neu war für sie auch die Sicht der Überlebenden. Manche dieser Zeuginnen und Zeugen kannte Sophie Bouchard-Stech zwar bereits vom Treffen der Opferorganisation «13onze15 Fraternité et Vérité». Aber die Überlebenden hätten ihr dort kaum von ihren eigenen Erlebnissen berichtet.
Sie hätten sich schuldig gefühlt, denn sie hätten überlebt, während andere wie sie Angehörige verloren hätten. Erst durch die Opferberichte im Prozess habe sie diese Geschichten entdeckt.
Opferanhörungen über fünf Wochen
Das Gericht hat fünf Wochen lang Überlebende und Angehörige der über 130 Todesopfer als Zeuginnen und Zeugen angehört. Manche reden bis zu einer Stunde. Andere berichteten nur in knappen Sätzen. Das Gericht hörte in der Regel zu und stellte keine Zusatzfragen.
Das Gericht halte die Aussagen der Zeugen für wichtig. So könnten diese ihre Sicht der Dinge darstellen, vermutlich ein letztes Mal vor einer grossen Öffentlichkeit. Dies sei ein wichtiger Schritt im persönlichen Aufarbeitungsprozess, in Richtung eines normalen Lebens.
Persönlicher Austausch mit Augenzeugen
Bouchard-Stech hatte noch ein anderes Motiv, an den Prozess zu kommen. Sie suchte Zeuginnen und Zeugen, die beim Anschlag im Bataclan in der Nähe ihres Mannes, Kulturjournalist Fabian Stech, gewesen waren. Und sie wurde fündig: Eine Frau zum Beispiel, der ihn zu Beginn des Konzerts seinen Platz angeboten habe, damit sie die Bühne besser sehen konnte. Diese Begegnung habe sie bewegt.
Widersprüchliche Gefühle: Trauer, gemischt mit Freude. Denn in den Schilderungen dieser Zeugin sei ihr Mann wieder lebendig geworden. Die Frau konnte auch berichten, wie Fabian Stech bei der ersten Salve getroffen wurde und zusammensank. Daraus habe sie den Schluss gezogen, dass er schnell gestorben sei und nicht gelitten habe.
Für Sophie Bouchard-Stech war dies eine Erleichterung, irgendwie. Vorher hatte sie sich in Albträumen ausgemalt, wie ihr Mann langsam und unter Qualen gestorben sei. Alle diese Informationen sind für Bouchard-Stech wichtig.
Sie möchte sie auch mit ihren Söhnen teilen, auch wenn dies im Moment kaum möglich sei. Beide möchten möglichst wenig von dieser Geschichte hören. Aber irgendwann würden sie ganz bestimmt Fragen stellen, die sie dann besser beantworten könne, weil sie am Prozess Informationen aus erster Hand erhalten habe.
Viele offene Fragen
Auch für Sophie Bouchard-Stech sind noch viele Fragen offen. Trotzdem wird sie in den kommenden Monaten seltener von Dijon nach Paris reisen. Die Anwältin will sich wieder stärker auf ihre Arbeit in der Kanzlei konzentrieren. Auch, da sie weiss, dass der Prozess noch mehr als ein halbes Jahr dauern und bereits die Beobachtung aus der Ferne sie viel Kraft kosten wird.