Ein Heft und ein Bleistift pro Kind. Das muss für die Kinder in diesem Migrantenheim in Tijuana reichen. Aber für diese Flüchtlingskinder ist das mehr, als sie noch vor ein paar Monaten hatten.
Ich möchte lernen, weil ich etwas aus meinem Leben machen will. Ich will später mal Soldat werden. Wegen dem, was mit meinem Papa passiert ist.
Monatelange Flucht und dann auch noch die Coronakrise. Diesen Kindern fehlen nicht nur Zukunftschancen, sondern auch einfach etwas Normalität. Eine Nichtregierungsorganisation bietet ihnen in Tijuana nun Online-Unterricht an. Einer der aufmerksamsten Schüler ist Carlos.
«Ich möchte lernen, weil ich etwas aus meinem Leben machen will. Ich will später mal Soldat werden. Wegen dem, was mit meinem Papa passiert ist.» Sein Vater sei von Kartellmitgliedern umgebracht worden. Daraufhin floh der 12-Jährige mit seiner Mutter aus dem mexikanischen Bundesstaat Guerrero. Ihr Ziel: Asyl in den USA.
Volle Migrantenheime – auch wegen Corona
Doch wegen Corona arbeiten die US-Gerichte extrem langsam. Und schon davor war die Aussicht auf Asyl gering, sagt uns der Migrationsexperte Victor Clark: «Wegen politischem Druck hat Mexiko 2019 akzeptiert, alle Flüchtlinge, die Asyl in den USA beantragen wollen, aufzunehmen. Das bedeutete, dass wir entlang der Grenze um die 60'000 Migranten hatten.»
In Mexiko führte das zu langen Wartezeiten und vollen Migrantenheimen. Und es hat die Stimmung verändert. Gerade die Grenzregion war zwar schon immer eine Gegend mit Menschen aus allen Ländern. Doch die Spannungen zwischen Lokalbevölkerung und den gestrandeten Migranten nehmen zu.
Die Null-Toleranz-Politik Trumps
2018 erreichte eine Karawane von Tausenden Migrantinnen und Migranten aus Zentralamerika die US-Grenze. Die USA und auch Mexiko rüsteten danach auf. Es kam zu Chaos. Donald Trumps Null-Toleranz-Politik hat Wirkung gezeigt, auch auf das Nachbarland. Clark: «Mexiko hat akzeptiert, sich für die USA in eine Mauer zu verwandeln – und hat die Grenzen im Süden abgeriegelt.»
Mexiko statt USA als neues Zuhause
Mit der grossen Karawane vor zwei Jahren kamen damals auch Lorena und Victor aus Honduras hierher. Das Paar ist sesshaft geworden, beide haben einen Job gefunden und leben in einem etwa 15 Quadratmeter grossen Zimmer. Zusammen verdienen sie umgerechnet um die 350 Franken im Monat. Luxus im Vergleich zum Leben in ihrer Heimat.
Ich bin glücklich hier. Ich habe Gott gebeten, lass uns aus dieser Armut fliehen, lass es uns zumindest hierher schaffen.
Sie hatten von einem Leben in den USA geträumt, aber Mexiko täte es auch, sagt Lorena. «Ich bin glücklich hier. Ich habe Gott gebeten: Lass uns aus dieser Armut fliehen, lass es uns zumindest hierher schaffen», sagt Lorena.
Viele andere sind ebenfalls gekommen um zu bleiben, obwohl Mexiko nicht ihre erste Wahl war. In einer Schlucht mitten in Tijuana haben sich in den letzten Jahren hunderte Migranten niedergelassen. Es wirkt wie ein eigenes kleines Dorf. Es werden Häuser gebaut, für jene, die bleiben werden. Und das sind einige. Zehntausende sitzen in mexikanischen Grenzstädten fest. Während sich die einen ein neues Leben aufbauen, halten die anderen an ihrem Traum von den USA fest und warten.
Wie Carlos und seine Mutter. Aber warum eigentlich? «Wegen der Sicherheit!», sagen sie. Denn das kann Mexiko nicht bieten. Allein in Tijuana werden jeden Tag vier Menschen ermordet. Dass aber Flüchtlinge wie Carlos noch in diesem Jahr Asyl in den USA beantragen können, ist unwahrscheinlich. Wie Zehntausende sitzt er weiterhin an der Grenze fest.