Fessenheim, das älteste AKW in Frankreich, ist seit Montagnacht definitiv abgeschaltet. Das Land setzt aber immer noch stark auf die Kernenergie: 75 Prozent des Stromes stammt aus AKW. Der Anteil soll bis in 15 Jahren auf 50 Prozent gesenkt werden. Doch die Atomlobby hat in Frankreich nach wie vor grossen Einfluss, erklärt der Energieexperte Mycle Schneider.
SRF News: Ist die Abschaltung von Fessenheim Frankreichs symbolischer Auftakt zum Atomausstieg?
Mycle Schneider: Zwei von 58 AKW, die abgeschaltet werden, sind noch kein Ausstieg aus der Atomenergie. Aber ein Zeichen. Man hätte die Laufzeiten ja auch verlängern können. Von interessierten Kreisen gab es diesbezüglich erheblichen Druck. Der Wille, in andere Richtungen zu denken, ist also da.
Ursprünglich wollte man den Anteil Atomstrom bis 2025 auf 50 Prozent reduzieren. Warum wurde das nach hinten verschoben?
Es wurde damit argumentiert, dass die Treibhausgasemissionen ansteigen würden, wenn man das Ziel bis 2025 hätte erreichen wollen. Wenn man Energiequellen abstellt, die mit wenig direkten oder indirekten CO2-Emissionen auskommen, ist das zweifellos so. Das ist aber das Problem: Die energiepolitische Umschaltung hat nicht früh genug stattgefunden, um auf die richtigen Alternativen zu setzen.
Der Verfall der Kosten bei den Erneuerbaren ist dramatisch.
Warum wurde der Schalter nicht rechtzeitig umgelegt?
Im Wesentlichen hat es damit zu tun, dass die Interessenvertreter der Atomindustrie im französischen Staat gut verankert sind. Sie üben erheblichen Druck auf die Politik und die Regierung aus. Es handelt sich eher um eine Technokratenelite, die die Entscheidungen fällt. Dort ist das Umdenken noch nicht sehr weit vorangeschritten. Der Markt wird aber in Zukunft eine erhebliche Rolle spielen.
Man hört immer wieder, dass die Atomkraft quasi zur DNA von Frankreich gehört. Würden Sie das unterschreiben?
Nicht, wenn damit das französische Volk gemeint ist. Es hat schon früh sehr heftige Kritik am Atomprogramm gegeben. Für die staatliche Elite gehört die Atomkraft aber zur «Grande Nation».
Die Produktionskosten für Strom aus Fotovoltaik oder Windenergie sind in den letzten Jahren massiv gesunken. Beim Atomstrom sind sie gestiegen. Warum sattelt die französische Regierung trotzdem nicht schneller um?
Der Verfall der Kosten bei den Erneuerbaren ist dramatisch. Noch vor fünf Jahren haben viele Analysten gesagt, das direkte Umschalten von herkömmlichen Stromsystemen auf Erneuerbare werde unmöglich sein. Es brauche eine Überbrückung durch Erdgas. Niemand hat vorausgesehen, dass die Solarenergie innerhalb von einem Jahrzehnt um Faktor 9 an Kosten sinken würde und die Windenergie um 70 Prozent. Dagegen ist die Atomkraft über ein Viertel teurer geworden.
Fairerweise muss man sagen, dass etwa Deutschland sehr früh auf alternative Energien gesetzt und das Geschäft stark subventioniert hat. Ist der Strom dort deswegen bedeutend billiger als in Frankreich?
Jein. Der Preis für Solar-Panels etwa unterscheidet sich von Land zu Land nicht gross. Grosse Unterschiede bestehen in den «Soft-Kosten» abseits der Materialkosten: Transport- und Werbekosten oder auch die Profitmarge etc. sind in Deutschland geringer.
Für jeden Installateur ist es billiger, wenn er im Umkreis von zehn statt von hundert Kilometern ausreichend Kunden hat.
Aus einem einfachen Grund: Je dichter die Anlangen gebaut werden, umso billiger werden sie. Für jeden Installateur ist es billiger, wenn er im Umkreis von zehn statt von hundert Kilometern ausreichend Kunden hat. Doch auch in Frankreich wird Solar- und Windenergie so billig, dass sie eine echte Konkurrenz zu bestehenden AKW wird.
Das Gespräch führte Nicoletta Cimmino.