Im «Energoland», dem Besucherzentrum des Atomkraftwerks Mochovce, ist die Welt in Ordnung. Ein 3D-Werbefilm zeichnet das AKW als eines der modernsten in Europa. Das Risiko eines atomaren Unfalls sei minim. Atomstrom sei die grüne Energie der Zukunft.
160 Kilometer weiter westlich, in der österreichischen Hauptstadt Wien, zeigt Reinhard Uhrig von der österreichischen Umweltorganisation Global 2000 auch ein Video. Ein wackliges Handyvideo, das ein Ingenieur in Mochovce aufgenommen hat. Zu sehen ist ein Dieselgenerator, zu hören ein Knall.
Das sei ein Notstromaggregat im beinahe fertig gebauten Reaktor 3 des AKW Mochovce. Fällt so ein Aggregat aus, kann das katastrophale Folgen haben: Es soll nämlich die Kühlung des Reaktors sicherstellen, wenn ein Blitzschlag oder ein Erdbeben die Stromversorgung unterbricht.
«Die Baustelle ist ausser Kontrolle»
Pannen wie diese seien auf der Reaktorbaustelle von Mochovce nicht die Ausnahme, sondern die Regel, sagt Uhrig. «Mehrere Ingenieure sagen uns, dass essentielle Teile der Baustelle völlig ausser Kontrolle sind. Da arbeiten verschiedene Baufirmen aneinander vorbei. Das Management versagt.»
Dass beim Bau von Mochovce viel schief gegangen ist, bestreitet niemand. Schon vor Jahren hätte Reaktor 3 und sein Zwilling, Reaktor 4, ans Netz gehen sollen. Doch dann haben Kilometer schlampig verlegter Kabel, fehlerhafte Schweissnähte und andere Mängel den Bau immer wieder verzögert. Das bestreitet auch die Betreiberfirma von Mochovce, Slovenska Elektrarna, nicht. Sie versichert aber, sie habe alle diese Fehler korrigiert.
«Viele der bekannten Mängel wurden tatsächlich behoben. Aber das Problem sind die noch nicht entdeckten», sagt AKW-Gegner Uhrig. Für ihn ist klar: «Das Chaosprojekt Mochovce sollte man abbrechen.»
Diese Meinung teilen in Österreich fast alle – auch als Resultat der intensiven Anti-Mochovce-Kampagne von Global 2000. Die Medien sprechen praktisch unisono von «Schrottreaktoren». Sogar Bundeskanzler Sebastian Kurz verlangt vom Nachbarland, dass Mochovce gestoppt wird.
Für die slowakische Regierung ist das keine Option, für Slovenska Elektrarna schon gar nicht. Sie hat bereits sechs Milliarden Euro in Mochovce verbaut, fast doppelt so viel wie ursprünglich budgetiert. Sie will die beiden neuen Reaktoren noch diesen Sommer hochfahren.
«Ausländische Hetzkampagne»
Der Sprecher von Slovenska Elektrarna versprach, SRF News zu erklären, wie das gehen soll. Er wollte Stellung nehmen zu den Vorwürfen, das AKW sei nicht sicher. Als ihm die Fragen dann aber vorlagen, war er trotz mehrmaliger Nachfragen nicht mehr zu erreichen. Lieber klagt er vor dem Heimpublikum, in slowakischen Medien, Mochovce sei Opfer einer ausländischen Hetzkampagne.
Ladislav Ehn, Ortsvorsteher in Kalna nad Hronom, dem Dorf gleich neben dem Kraftwerk, sieht das anders: «Wir brauchen kritische Medienberichte. Sie stellen sicher, dass alle Fehler genau überprüft werden.» Am Schluss werden die neuen Reaktoren sicher sein, glaubt Ehn.
Er ist, wie die meisten Slowaken, überzeugt davon, dass das Land Atomkraft braucht – für die wirtschaftliche Entwicklung und für den Klimaschutz. Und auch für sein Dorf sei das Kraftwerk ein Segen. Es biete Arbeitsplätze und spüle viel Geld in die Gemeindekasse.
«Auf dieser Baustelle fehlt die Kontinuität»
Die Entscheidung, ob und wann die neuen Reaktoren in Mochovce ans Netz gehen, liegt bei Marta Ziakova, der Chefin der slowakischen Atomaufsicht. Auch sie sagt: «Mir gefällt nicht, wie auf dieser Reaktorbaustelle gearbeitet wird.»
Seit mehr als zehn Jahren werde gebaut, immer wieder komme es zu Verzögerungen. «Inzwischen ist der sechste oder siebte Bauleiter am Werk. Da fehlt die Kontinuität.» Und weil einzelne Teile bereits so lange auf der Baustelle herumstehen, müssten die Reaktoren möglicherweise öfter repariert werden.
Anders als die Umweltaktivisten von Global 2000 glaubt Ziakova aber, dass die neuen Reaktoren am Schluss sicher sein werden. Die Baumängel seien nach und nach behoben worden. Und: Bevor sie ans Netz gehen, müssten die Reaktoren Tests bestehen, die eine ausreichende Sicherheit garantierten.
Frühestens Ende Jahr könnte der erste der beiden neuen Reaktoren in Mochovce alle Tests bestanden haben und hochgefahren werden, sagte die oberste Atomaufseherin der Slowakei noch vor Ausbruch der Coronakrise – ein halbes Jahr später als die Betreiber hoffen.
Und auch dieser Termin ist nur realistisch, wenn auf der Reaktorbaustelle jetzt plötzlich alles rund läuft.