- Das Bundesgericht hat die Verurteilung von Erwin Sperisen zu 15 Jahren Freiheitsstrafe wegen Beihilfe zum Mord aufgehoben.
- Es folgt damit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR).
- Er hat die Justizvollzugsanstalt Witzwil BE verlassen.
In einem für Montag zur Veröffentlichung vorgesehenen Urteil lässt das Höchstgericht das Revisionsgesuch von Sperisen teilweise zu. Dieses stützt sich auf das EGMR-Urteil vom 13. Juni. Der Menschenrechtsgerichtshof in Strassburg war zum Schluss gekommen, dass die Präsidentin der Beschwerdekammer des Genfer Berufungsgerichts befangen war.
In seinen Erwägungen wies das Bundesgericht Einwände der Genfer Staatsanwaltschaft gegen die Begründung des EMGR zurück, wonach der Gerichtshof sich auf einen falschen Sachverhalt gestützt haben soll. Im weiteren beschied das Bundesgericht die Genfer Staatsverfolgung, der Entscheid aus Strassburg sei endgültig. Die Schweiz sei der europäischen Erklärung der Menschenrechte verpflichtet und setze sich für den Vollzug der EMGR-Beschlüsse ein.
Retour auf Stand von 2017
Sein eigenes Urteil von 2019 mit der Bestätigung der Strafe des Kantonsgerichts hob das Bundesgericht nicht auf. Die Dauer des Verfahrens von elf Jahren bezeichnete es zudem als nicht übermässig lang. Sie erkläre sich mit der äussersten Schwere des Falls und dem internationalen Charakter.
In seinem Entscheid befand das Bundesgericht, der Fall Sperisen müsse auf den Zustand zurück versetzt werden, in dem er sich vor dem Zeitpunkt der vom EMGR gerügten Äusserungen der Genfer Gerichtspräsidentin befunden hatte. Das Genfer Berufungsbericht muss das Verfahren somit auf dem Stand von Anfang Oktober 2017 wieder aufnehmen.
Die Genfer Staatsanwaltschaft nahm das Urteil zur Kenntnis. Sie erinnerte jedoch daran, dass das EGMR-Urteil und das Bundesgerichtsurteil «sich ausschliesslich auf die Frage der scheinbaren Befangenheit einer Richterin beziehen und keineswegs auf die Gründe, die zur Verurteilung von Erwin Sperisen geführt haben».
«Unter Schock»
Das Bundesgericht entschied nicht über eine Freilassung von Sperisen. Das Genfer Straf- und Massnahmenvollzugsgericht hatte die Entlassung aus dem Strafvollzug zwar Ende September angeordnet, was aber an einem Rekurs der Staatsanwaltschaft scheiterte. Die Beschwerde erhielt wegen des Fluchtrisikos aufschiebende Wirkung. Nun kam das Gericht auf seinen Entscheid zurück und setzte Sperisen auf freien Fuss.
Am Nachmittag konnte Sperisen die Justizvollzugsanstalt Witzwil BE verlassen. Er sei «unter Schock», sagte er auf die Frage eines Journalisten. Begleitet von einem seiner Anwälte, beteuerte er einmal mehr seine Unschuld. Seine Behandlung durch die Genfer Justiz in den vergangenen Jahren bezeichnete er als Ungerechtigkeit. Laut seinem Anwalt plant er, in der Schweiz zu bleiben.