Nach dem verheerenden Erdbeben mit Tausenden Todesopfern und Verletzten wird in Marokko noch immer nach Überlebenden gesucht, die Lage ist weiterhin unübersichtlich. SRF-Sonderkorrespondent Daniel Glaus ist in Marrakesch und schildert seine Eindrücke.
SRF News: Wie geht es den Menschen in Marrakesch derzeit?
Daniel Glaus: Hier sind die Schäden nach dem Erdbeben deutlich zu sehen. In den engen Gassen sind ganze Häuserblöcke eingestürzt. Nebst den über 2000 Todesopfern und Tausenden Verletzten sind viele Menschen obdachlos geworden. Auf den Strassen sind zig Familien mit ihrem wenigen Hab und Gut unterwegs. Sie verbringen die Nächte im Freien, auf öffentlichen Plätzen und Parks in Marrakesch. Kleine Kinder schlafen hier auf dem nackten Fussboden, oft nur ausgestattet mit einigen Decken.
Wie laufen die Rettungs- und Hilfsarbeiten?
In der Stadt sieht man viele Polizisten, die Strassen und Häuserblöcke bei einsturzgefährdeten Gebäuden sperren. Auch einzelne Krankenwagen sind unterwegs. Doch bislang sind nur wenige koordinierte Rettungsaktionen und systematische Aufräumarbeiten zu sehen. Die Betroffenen in Marrakesch finden teils Unterschlupf bei Angehörigen in unversehrten Stadtteilen, teils wurden Hotels geöffnet. Kenntnis von eingerichteten Notunterkünften habe ich derzeit nicht. Mehrere Familien sagten mir, sie erhielten von staatlicher Seite bisher keine Unterstützung.
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Bild 1 von 5. Das schwere Erdbeben in Marokko von Samstagnacht hat viele Menschen obdachlos gemacht. Bild aus Moulay Brahim südlich von Marrakesch. Bildquelle: Keystone/AP Photo/Mosa'ab Elshamy.
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Bild 2 von 5. In Marrakesch verbringen viele Familien die Nächte im Freien. Sie sind auf die Hilfe ihrer Mitmenschen angewiesen. Bildquelle: Keystone/EPA/YOAN VALAT.
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Bild 3 von 5. Die Betroffenen haben teilweise kaum Hab und Gut bei sich und schlafen auf Decken am Boden. Bildquelle: REUTERS/Hannah McKay.
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Bild 4 von 5. Die Suche nach Vermissten geht im nordafrikanischen Land weiter, wie hier in Tafeghaghte südlich von Marrakesch. Bildquelle: Keystone/EPA/JALAL MORCHIDI.
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Bild 5 von 5. Das Ausmass der Schäden ist teilweise noch unklar, die Lage in Marokko bleibt unübersichtlich. Bildquelle: Keystone/AP Photo/Mosa'ab Elshamy.
Gibt es bereits Kritik an der Regierung?
Die Menschen in Marrakesch beginnen sich nach dem Schock nun zu ärgern. Sie kritisieren, dass die jahrhundertealten Gebäude in der Altstadt trotz Versprechen der Regierung nicht renoviert worden seien. Denn Gelder für Umbauten wurden bereits vor Jahren gesprochen. Diese Wut ist auf der Strasse zwar unterschwellig spürbar. Doch die Kritik wird nicht offen gegen Marokkos König Mohammed VI. oder die Behörden vorgebracht.
Erhalten die Menschen auf der Strasse gar keine Unterstützung?
Sie sind auf die Hilfe ihrer Mitmenschen angewiesen. Und hier ist die Solidarität sehr gross. Menschen bringen Essen, Trinken und Decken vorbei und helfen einander, wo es geht. Das bemerkt man auch ausserhalb von Marrakesch. Wir begegnen immer wieder kleinen Privatkonvois mit Hilfsgütern, die auf eigene Faust Richtung Epizentrum unterwegs sind. Im Radio wird berichtet, dass die Leute vor Spitälern Schlange stehen, um Blut zu spenden.
Man weiss teilweise noch nicht, ob die Menschen in der Nähe des Epizentrums überlebt haben und welche Hilfe sie benötigen.
Wie ist die Lage in der Nähe des Epizentrums?
Die am stärksten betroffenen, entlegenen Dörfer im Atlasgebirge sind für die Rettungskräfte nur schwer zu erreichen. Gewisse Strassen sind noch immer blockiert und müssen erst geräumt werden. Nach dem Erdbeben gab es dort Stromausfälle und das Telefonnetz ist zusammengebrochen. Man weiss also teilweise noch nicht, ob die Menschen in der Nähe des Epizentrums überlebt haben und welche Hilfe sie konkret benötigen. Es kursieren aber Videos auf sozialen Medien, die zeigen, wie viel grösser die Zerstörung sein muss, je näher man dem Epizentrum kommt.
Wie geht es nun weiter?
Verschiedene Länder wie Spanien, Israel oder auch die Schweiz haben Marokko ein Hilfsangebot unterbreitet. Diese Einsätze werden nun geplant. Die Menschen in Marrakesch wissen nicht, wie es für sie weitergeht. Sie dürfen wegen drohender Nachbeben teils nicht zurück in ihre Häuser. Die Suche nach Überlebenden geht weiter. Doch die Lage in Marokko ist noch immer unübersichtlich.
Das Gespräch führte Laura Sibold.
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Bild 1 von 8. Über 2100 Menschen kamen beim Erdbeben ums Leben. Das Bild zeigt eine zerstörte Moschee in der berühmten Altstadt von Marrakesch. Bildquelle: REUTERS/Abdelhak Balhaki.
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Bild 2 von 8. Darüber hinaus wurden Tausende Menschen durch das verheerende Beben obdachlos oder verletzt. Bild: Eine verletzte Frau wird von Hilfskräften zum Spital in Amizmiz gebracht. Bildquelle: Keystone/EPA/JALAL MORCHIDI.
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Bild 3 von 8. Bilder aus betroffenen marokkanischen Städten zeigen grosse Zerstörung. Bildquelle: Keystone/EPA/JALAL MORCHIDI.
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Bild 4 von 8. Einsatzkräfte versuchen, erste Hilfe zu leisten und sich einen Überblick über die Lage zu verschaffen. Bild aus Amizmiz. Bildquelle: REUTERS/Abdelhak Balhaki.
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Bild 5 von 8. In Marrakesch löste das starke Erdbeben Berichten zufolge Panik aus, viele Häuser sind zerstört. Bildquelle: Keystone/EPA/JALAL MORCHIDI.
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Bild 6 von 8. Viele Menschen suchten nach dem Erdbeben in der Landeshauptstadt Rabat im Freien Schutz. Bildquelle: Keystone/EPA/Jalal Morchidi.
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Bild 7 von 8. Es sei das erste Mal seit einem Jahrhundert, dass ein derart starkes Erdbeben in Marokko registriert worden sei, sagte Nasser Jabour vom Nationalen Institut für Geophysik der Nachrichtenagentur MAP. Bildquelle: Keystone/EPA/JALAL MORCHIDI.
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Bild 8 von 8. Die Zahl der Opfer dürfte nach dem Erdbeben noch steigen. In ganz Marokko sind auch viele Menschen obdachlos geworden. Bildquelle: Keystone/EPA/JALAL MORCHIDI.