Er ist ein beschäftigter Mann: der 49-jährige Bürgermeister der grössten Stadt der Türkei. Das Team von SRF ist mit ihm in einem Stadtpark von Istanbul verabredet. Zuvor muss Ekrem Imamoglu aber noch unterhalb des Tokapi-Palastes eine Ortsbegehung machen: in einem völlig zugewachsenen Park mit wunderbarem Blick auf den Bosporus.
Eines von vielen Beispielen – das zeigt: in Istanbul fehlt das Geld an allen Ecken und Enden. Die Stadt sitzt auf einem riesigen Schuldenberg: umgerechnet fast fünf Milliarden Franken. Das ist das Ergebnis nach Jahrzehnten Ein-Parteien-Herrschaft der AKP, der Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung von Präsident Recep Tayyip Erdogan.
«25 lange Jahre hat die AKP Istanbul regiert und die Stadt wie ihr Eigentum behandelt. Das muss sich jetzt ändern» sagt Imamoglu, als er endlich zum Interviewtermin eintrifft.
Europa hält sich aus dem ganzen Syrien-Konflikt heraus. Da ist es dann nicht fair, die Türkei wegen einer Militäroperation so anzuklagen, so zu beschuldigen.
Die Euphorie nach Imamoglus Wahl letzten Juni verblasste schnell, denn der Newcomer auf nationaler Bühne muss mit einem Präsidenten und einer Zentralregierung in Ankara kämpfen, die ihm viele Steine in den Weg legt.
So geben die staatlich kontrollierten Banken Istanbul und anderen von der Opposition regierten Städte keine Kredite mehr. «Das ist ein unmoralisches Spiel. Die Banken mauern nur noch, anstatt uns neue Kreditlinien zu geben», beschwert er sich.
Allein für die Fertigstellung acht verschiedener U-Bahn-Linien und anderen Infrastrukturmassnahmen bräuchte die Stadt 3.5 Milliarden Franken für die nächsten zehn Jahre. Doch die Wirtschafts- und Währungskrise in der Türkei hat die einst so florierende Bauwirtschaft quasi stillgelegt. Nun sucht der Bürgermeister Geld bei ausländischen Banken und ist erfolgreich.
Credit Suisse will keine Auskunft geben
«Wir haben jetzt ein transparentes Budgetmanagment aufgestellt, damit in jedem Stadtbezirk die Kosten neuer Projekte genau nachverfolgt werden können», so Imamoglu.
Erste Gespräche gab es anscheinend auch mit Vertretern der Credit Suisse anlässlich eines Finanztermins in der Londoner City. Das zumindest heisst es aus britischen und türkischen Quellen. Gegenüber SRF zeigt sich die Schweizer Bank aber zugeknöpft. «Zu möglichen und bestehenden Kundenbeziehungen gibt es keine Auskunft.»
Doch der Bürgermeister legt nach: «Die Schweiz ist eines der wichtigsten Finanzzentren – gerne! Wenn wir hier eine Einladung erhalten sollten, kommen wir gerne auch in die Schweiz zu weiteren Gesprächen.»
So aufgeschlossen Imamoglu beim Thema Finanzen ist, so vorsichtig argumentiert er bei politischen Themen. Diesen Sommer wurden viele kurdische Bürgermeister verhaftet und von Präsident Erdogan durch staatliche Kommissare ersetzt. Imamoglu verurteilt zwar diese Repression. Mehr Autonomie will aber auch er den Kurden in der Türkei nicht einräumen.
Auch beim Thema Türkisch-Syrischer Grenzkonflikt nimmt der Bürgermeister sogar seinen eigenen Präsidenten in Schutz und vermeidet jede Kritik an Erdogan.
«Europa hält sich aus dem ganzen Syrien-Konflikt heraus. Da ist es dann nicht fair, die Türkei wegen einer Militäroperation so anzuklagen, so zu beschuldigen.»
Allein Istanbul habe schon eine Million syrische Flüchtlinge aufgenommen. Ekrem Imamoglu sucht den Anschluss an Europa: finanziell – doch politisch bleibt er vorsichtig auf Distanz.