Um ihre Glaubwürdigkeit zu retten, konnte die EZB kaum anders. Sie musste die Zinsen kräftig erhöhen. Denn die Preise für die Dinge des täglichen Bedarfs schiessen in Europa gefährlich in die Höhe. Konkret: Die Teuerungsrate in der Eurozone beträgt aktuell gut 9 Prozent – Tendenz steigend. Das Inflationsziel der EZB jedoch ist 2 Prozent. Anspruch und Wirklich klaffen krass auseinander.
Happiger Kaufkraftverlust
Inflation ist ein anderes Wort für Geldentwertung. Das heisst: Je schneller die Euros der Konsumentinnen und Konsumenten an Wert verlieren, desto schlimmer. Die Inflation plagt auch die Firmen. Sie treibt deren Kosten nach oben und drückt auf die Gewinne.
Das Schwierige an der Lage ist: Die anhaltend hohen Energiepreise drohen unterdessen, die ganze Wirtschaft in eine Rezession zu stürzen. Und gegen diesen – geopolitisch bedingten – Preisschock ist die EZB machtlos. Denn steigende Zinsen machen Öl, Gas und Strom auf dem Weltmarkt nicht günstiger. Das räumte EZB-Chefin Christine Lagarde heute vor den Medien ein.
Bittere Medizin für die Wirtschaft
Schlimmer noch: Steigende Zinsen verteuern die Kredite für den Konsum und die Investitionen. Das ist exakt die Mechanik, mit der die Geldpolitik aller Notenbanken funktioniert. Steigende Zinsen dämpfen somit die Konjunktur. Die Unternehmen investieren weniger, stellen weniger Personal ein. Die Beschäftigung geht zurück; die Arbeitslosigkeit nimmt zu, die Konsumentenstimmung trübt sich weiter ein, die Nachfrage schrumpft. Ganz allmählich nimmt der Teuerungsdruck dadurch ab. Doch das braucht Zeit.
Mit anderen Worten: Die jüngsten Zinserhöhungen der EZB sind eine bittere Medizin mit schmerzlichen Nebenwirkungen für die gesamte Wirtschaft. Zunächst werden die Menschen vom gewünschten Effekt zudem wenig spüren. Sogar die EZB prognostiziert, dass die Inflation kommendes Jahr noch im Schnitt über 5 Prozent betragen dürfte. Erst für das übernächste Jahr, also 2024, hofft sie auf lediglich gut 2 Prozent Inflation. Womit dann das Ziel erreicht wäre.
Nationalbank dürfte nachziehen
In der Schweiz richtet sich als Nächstes der Blick auf die Nationalbank: Wird sie mit einer kräftigen Zinserhöhung nachziehen? In zwei Wochen ist wieder ein Zinsentscheid der SNB fällig. Dass sie mit den Zinsen rauf geht, gilt als ausgemacht.
Doch steht sie nicht derart stark unter Druck wie die EZB, denn in der Schweiz ist die Inflation mit 3.5 Prozent nicht einmal halb so hoch wie in der Eurozone. Aber auch die Nationalbank muss aufpassen, dass sie nicht ihre Glaubwürdigkeit riskiert. Entsprechend entschieden wird sie gegen die Teuerung einschreiten – so gut es eben geht.