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Erst raus – dann wieder rein? «Die Schotten möchten am liebsten in der EU bleiben»

Ende Monat tritt Grossbritannien aus der Europäischen Union aus. Damit verlässt auch Schottland die EU, obwohl das Stimmvolk stets gegen einen Brexit gestimmt hat. Trotzdem beginnen die Schottinnen und Schotten das Jahr ganz zuversichtlich, wie die Journalistin Nicola de Paoli beobachtet hat.

Nicola de Paoli

Freie Korrespondentin aus Edinburgh

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Nicola de Paoli arbeitet seit 2006 als freie Korrespondentin in Edinburgh. Davor war sie Wirtschaftsredaktorin bei der «Financial Times» Deutschland. Sie schreibt über wirtschaftliche Themen, Kultur und Reisen in Grossbritannien und ist als Berichterstatterin für Schottland tätig.

SRF News: Wie fängt das Neue Jahr für die Schottinnen und Schotten an?

Nicola de Paoli: Viele Menschen sind mit dem Brexit nicht einverstanden. Es gibt aber auch eine gewisse Erleichterung, dass nach einer langen Zeit des politischen Tauziehens endlich Klarheit herrscht.

Es scheint unausweichlich, dass Schottland am 31. Januar zunächst einmal aus der EU austritt.

Für Schottland führt kein Weg am Brexit vorbei?

So ist es. Die Schotten möchten am liebsten in der EU bleiben. Das war zumindest das Ergebnis der Abstimmung im Jahr 2016. Doch Schottland ist ein Teil des Königreichs und daher scheint es unausweichlich, dass es am 31. Januar zunächst einmal aus der EU austritt.

Sie sagen «zunächst». Ist denkbar , dass Schottland nach dem Brexit versucht , wieder in die EU einzutreten?

Solange Schottland ein Teil Grossbritanniens ist, kann es aussenpolitisch keine eigenen Entscheidungen treffen. Die Aussenpolitik wird in London festgelegt. Um die Möglichkeit zu bekommen, aussenpolitisch eigene Wege zu gehen und mit der EU Verhandlungen aufzunehmen, müsste sich Schottland aus dem Vereinten Königreich herauslösen und ein unabhängiger Staat werden.

Die Unabhängigkeit steht seit Jahren im Parteiprogramm der aktuellen Regierungspartei. Und mit dem Brexit werden die Karten neu gemischt.

Genau das will di e Schottische Nationalistische Partei (SNP), die aktuelle Regierungspartei. Wird 2020 zum Schicksalsjahr für ein unabhängiges Schottland?

Das Jahr 2020 kann auf jeden Fall so ein Jahr werden. Die Regierungschefin Nicola Sturgeon hat bereits angekündigt, dass sie am liebsten in der zweiten Jahreshälfte ein neues Referendum zur Unabhängigkeit Schottlands hätte. Die Unabhängigkeit steht seit Jahren im Parteiprogramm der SNP. Und mit dem Brexit werden die Karten neu gemischt. Auf einmal scheint die Unabhängigkeit selbst für Menschen attraktiv, die sich zuvor so etwas gar nicht hätten vorstellen können. Doch wenn ihnen damit der Verbleib in der EU und die damit verbundenen Vorteile gesichert würden, würden sie für die Unabhängigkeit stimmen.

Die schottische Regierungschefin möchte ein zweites Referendum. Was passiert , wenn Johnson das nicht erlaubt?

Johnson hat nie ein Hehl daraus gemacht, dass er kein neuerliches Referendum will. Sturgeon wiederum will unbedingt die offizielle Zustimmung der britischen Regierung. Sie will damit ausschliessen, dass es Zweifel an der Rechtmässigkeit der Volksabstimmung gibt. Sie denkt dabei an das Szenario 2017 im spanischen Katalonien, als die dortige Volksabstimmung für rechtswidrig erklärt wurde.

Was wird letztlich den Ausschlag geben?

Zunächst muss die SNP ihren Wählern erklären, wie ein unabhängiges Schottland wirtschaftlich existieren kann. Das ist wichtig, weil Schottland jahrelang viel Geld mit dem Öl in der Nordsee verdient hat. Doch diese Quellen sind versiegt und die Schotten sind grosse Pragmatiker. Es wird stark vom Handelsabkommen abhängen, das Johnson mit der EU aushandelt. Wenn der Deal für die Schotten gut ist, werden sie kein Interesse daran haben, das Königreich zu verlassen.

Die Schotten warten also ab, mit welcher Strategie sie besser bedient sind?

Genauso ist es. Die Schotten sind keine Fans von Johnson. Aber wenn es ihm gelingt, eine gute Vereinbarung auszuhandeln, dann würden viele Schottinnen und Schotten dem Vereinigten Königreich wohl die Treue halten.

Das Gespräch führte Teresa Delgado.

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