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EU-Ratspräsidentschaft «Polens Ziel ist eine starke europäische Militärwirtschaft»

Mit dem Motto «Sicherheit, Europa» hat Polen den Vorsitz im Rat der EU übernommen. Für die kommenden sechs Monate leitet und prägt Donald Tusk somit die Sitzungen des Gremiums. Welche Absichten Polen mit diesem Motto verfolgt, weiss der deutsch-polnische Politikwissenschafter Basil Kerski.

Basil Kerski

Publizist und Politikwissenschafter

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Basil Kerski ist ein deutsch-polnischer Publizist und Politikwissenschafter. Seit März 2011 leitet er das Europäische Solidarnosc-Zentrum in seiner Geburtsstadt Danzig in Polen.

SRF News: Welche Absichten verfolgt Polen, wenn es die Sicherheit ins Zentrum seiner Ratspräsidentschaft stellt?

Basil Kerski: Da geht es um viel mehr als nur um Sicherheit. Polen ist pro-ukrainisch, weil sich seit 1989, also seit der Wiedererlangung der Souveränität Polens im Kampf gegen den Kommunismus, die folgende Vorstellung durchgesetzt hat: Die Souveränität der östlichen Nachbarn, vor allem der baltischen Staaten wie Belarus und der Ukraine, ist die Sicherheitsgarantie für einen souveränen polnischen Staat.

Wenn Polen die Ukraine verteidigt, verteidigt es seine Vision von seiner Souveränität, die auf der Souveränität der Ukraine aufbaut.

Die zweite Vorstellung ist ein vereinigtes Deutschland, das nicht isoliert allein durch die Welt schwirrt, sondern fest integriert ist in die Nato und die EU. Das heisst, wenn Polen die Ukraine verteidigt, verteidigt es seine Vision von seiner Souveränität, die auf der Souveränität der Ukraine aufbaut. Das ist ein grundlegender Gedanke, der sich in Polen in den letzten Jahrzehnten auch kulturell durchgesetzt hat.

Historisch gesehen ist das Verhältnis zwischen Polen und der Ukraine keineswegs unbelastet. Spielt das aktuell keine Rolle?

Als vor 35 Jahren der Sowjetblock zusammenfiel, gab es durchaus die Thesen: Nicht nur auf dem Balkan drohen uns ethnische und nationalistische Konflikte, sondern auch in der Mitte Europas. Warum? Weil zum Beispiel alle Grenzen Polens erst nach 1945 entstanden sind. Das sind neue Grenzen, die von Stalin gezogen wurden. Die grosse Angst war, dass Polen die eigenen Grenzen infrage stellt.

Diese Anerkennung aller Grenzen, der Frieden mit allen Nachbarn ist ein Grundkonsens in dieser Gesellschaft.

Vor 35 Jahren hat jedoch eine kulturelle Revolution stattgefunden, die heute prägend ist: Polen hat seine Nachkriegsgrenzen akzeptiert und sich mit allen Nachbarn versöhnt. Denn Polen weiss, es kann nur sicher in dieser Welt leben, indem es Partnerschaften zu seinen Nachbarn pflegt.

Wie weit trägt denn die Bevölkerung diesen Kurs der Politik mit?

Diese Anerkennung aller Grenzen, der Frieden mit allen Nachbarn, ist ein Grundkonsens in dieser Gesellschaft. Man will einfach in Frieden leben und keine Experimente wagen. Natürlich gibt es eine Ermüdung. Natürlich wollen die Menschen nicht mehr wissen, was in der Ukraine passiert. Es gibt sehr viele, die meckern, dass den Ukrainern zu stark geholfen wird, viel stärker als anderen, eigenen sozial Vernachlässigten. Das ist eine Debatte wie in jedem europäischen Land. Aber das hat nichts mit diesem grundlegenden Konsens zu tun: Wir unterstützen die Ukraine und schützen sie vor dem Neoimperialismus Russlands.

Ein wichtiges Ziel Polens ist die Schaffung einer starken europäischen Militärwirtschaft.


Was heisst das für die Rolle Polens in diesem Krieg? Auch dann, wenn es um ein Ende dieses Krieges geht?

Polen ist, wie andere Staaten, sehr vorsichtig darin, die Ukraine direkt zu schützen. So weit will man nicht gehen, aber man ist an zwei Dingen interessiert: finanziell und mit Waffenexporten die ukrainische Wehrfähigkeit zu stärken.

Zudem hat sich in Polen das Bewusstsein durchgesetzt: Die Nato ist wichtig. Die militärische Partnerschaft mit den USA ist wichtig. Aber die Wehrfähigkeit Europas ist genauso wichtig, vielleicht noch wichtiger, weil es da grosse Defizite gibt. Ein wichtiges Ziel Polens ist die Schaffung einer starken europäischen Militärwirtschaft. Das wird natürlich viele Jahre dauern, aber da wird Polen sicherlich vorne mit dabei sein.

Das Gespräch führte Christina Scheidegger.

Echo der Zeit, 04.01.2025, 18 Uhr ; 

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