Carles Puigdemont, katalanischer Separatistenführer, hat am Wochenende die Wahl ins Europaparlament geschafft. Ob er sein Amt aber antreten kann, das ist völlig offen. Für Spanien-Expertin Julia Macher geht es bei der Wahl auch um Symbolik.
SRF News: Kann Puigdemont die Wahl antreten?
Julia Macher: Um Europa-Parlamentarier zu werden, muss er nach Madrid, um laut einem Gutachten des europäischen Parlaments dort auf die spanische Verfassung zu schwören. In Madrid aber besteht Haftbefehl gegen ihn. Mitgliedern seiner ehemaligen Regierung und zwei Aktivisten wird derzeit der Prozess gemacht, unter anderem wegen Rebellion. Puigdemont würde also bei Grenzübertritt sofort festgenommen werden und hat bereits durchblicken lassen, dass er sich dem nicht aussetzen wird.
Was für Optionen hat er nun?
Es beginnt ein juristisch-politisches Tauziehen. Puigdemont und seine Anwälte behaupten, dass er durch die Wahl parlamentarische Immunität geniessen würde. Das Gutachten des Europäischen Parlaments ginge auf Initiative der konservativen Volkspartei zurück und sei nicht stichhaltig.
Das Europaparlament wäre gezwungen, sich zur Katalonienfrage zu positionieren und die Unabhängigkeitsbefürworter hätten ihr Ziel erreicht.
Das Europaparlament wäre gezwungen, sich zur Katalonienfrage zu positionieren und die Unabhängigkeitsbefürworter hätten ihr Ziel erreicht. Dieses Festhalten an landesüblichen Formalitäten widerspreche dem Geist der EU. Puigdemont will an den ersten Arbeitssitzungen diese Woche teilnehmen und sieht sich bei der konstituierenden Sitzung des Europaparlaments am 2. Juli als akkreditierter Abgeordneter.
Wird Puigdemont sein Amt antreten können?
Angesichts des Vorentscheids tendieren viele Beobachter zu einem Nein. Fast interessanter ist aber die Frage, ob Oriol Junqueras Europa-Abgeordneter werden kann. Der Chef der katalanischen links-Republikaner, der seit fast anderthalb Jahren in Untersuchungshaft sitzt, ist ebenfalls ins Europaparlament gewählt worden. Einen Monat zuvor hatte er sich bereits ins spanische Parlament wählen lassen und hat dort eine Sondergenehmigung erhalten, um im Madrider Kongress auf die Verfassung schwören zu können.
Anschliessend hat der Vorstand des Parlaments ihn vom Amt suspendiert. Bekommt Junqueras erneut eine Sondergenehmigung, könnte er im Gegensatz zu Puigdemont in Spanien die Formalitäten erfüllen, wäre ein regelrechter EU-Parlamentarier. Wollen ihn die spanischen Richter suspendieren lassen, müssen sie das beim Europaparlament beantragen. Das Europaparlament wäre gezwungen, sich zur Katalonienfrage zu positionieren und die Unabhängigkeitsbefürworter hätten ihr Ziel erreicht.
Wie wird die Diskussion in Katalonien aufgenommen?
Eine Million Menschen haben am vergangenen Sonntag Puigdemont ihre Stimme gegeben, obwohl von Anfang an die Frage im Raum stand, ob er sein Amt überhaupt ausüben kann. Das Votum war vor allem ein Protestvotum.
Die internationale Aufmerksamkeit soll auf den in Madrid laufenden Prozess gelenkt werden.
Man wollte ein Zeichen setzen gegen die «Verfolgung einer politischen Idee» und gegen das Stillschweigen der Europäische Union in dieser Frage. Das Problem rund um Puigdemont wird auch jenseits der Unabhängigkeitsbewegung diskutiert. Das Problem zeigt, wie problematisch es ist, wenn die politische Frage der Unabhängigkeitsbestrebung allein mit juristischen Mitteln zu lösen versucht wird.
Kann Puigdemont aus dieser Situation Profit schlagen?
Für ihn und Jonqueras ist jetzt die mittelfristig vermutlich letzte Chance, die Frage der katalanischen Unabhängigkeit nochmals auf die europäische Tagesordnung zu bringen. Die internationale Aufmerksamkeit soll auf den in Madrid laufenden Prozess gelenkt werden.
Das Gespräch führte Joel Hafner.