Einige Aserbaidschanerinnen und Aserbaidschaner mögen sich auf das Turnier freuen, gelten sie doch als fussballbegeistertes Land. Andere sehen es nicht ganz so gelassen: Das Geld hätte man anders ausgeben können, man hätte in die öffentlichen Aufgaben investieren können. Das käme den ärmeren Menschen zugute, sagt Judith Huber, Auslandredaktorin.
Sie hat mit Menschen aus Aserbaidschan gesprochen. Auch über die Gerechtigkeit lässt sich diskutieren. Denn wegen Corona sind seit mehr als einem Jahr alle politischen Versammlungen verboten. Die EURO 2020 kann aber stattfinden.
Es ist bekannt, dass viele Länder internationale Wettbewerbe nutzen, um sich im besten Licht zu zeigen. Aserbaidschan ist da laut Huber keine Ausnahme, im Gegenteil: «In den letzten zehn Jahren wurden Milliarden systematisch in solche Events hineingesteckt, also in den Aufbau der gigantischen Infrastruktur und in die Events selbst. Stichwort Eurovision, Formel 1 und diverse andere Sportturniere.»
Aber es existiere eben auch ein Aserbaidschan jenseits oder hinter dieser Fassade. Eine Welt der massiven Repression. Dutzende Menschenrechtler, Journalisten oder Oppositionelle seien im Gefängnis, so Judith Huber. «Viele leben seit Jahren im erzwungenen Exil. Es wird gefoltert. Es wird auch mal ein Schlägertrupp losgeschickt. Und es gibt Elend und Armut im Land. Das sind die unschönen Seiten.» Aber genau diese würden mit solchen Veranstaltungen übertüncht.
Ausgetragen werden die Spiele in der Hauptstadt Baku, eine Stadt reich an Geschichte und auch reich an Petrodollar. Der staatliche Ölkonzern war offizieller Partner der UEFA. Stillschweigend ist Socar mittlerweile von der Homepage verschwunden. Wenn man bei der UEFA nachfrage, heisse es, Socar habe die Partnerschaft nicht weitergeführt. Socar habe verlauten lassen, man wolle Kosten sparen und habe deshalb die Partnerschaft gekündigt.
Internationale Kritik und Schlagzeilen
Warum sollte der Ölkonzern ausgerechnet kurz vor dem wichtigen Turnier aussteigen? Genau in dem Moment, wo man die beste Werbewirkung erzielen könnte? Laut Auslandredaktorin Huber lassen sich nur Vermutungen anstellen. «Es könnte durchaus etwas damit zu tun haben, dass Socar während des Krieges um Berg-Karabach im Herbst über Social Media patriotische Propaganda verbreitet hat.» Das hat international massive Kritik ausgelöst.
Eine Rolle spielen könnte auch der Mord an der maltesischen Journalistin Daphne Caruana Galizia. Der Name des aserbaidschanischen Konzerns Socar ist im Zusammenhang mit einem Hauptverdächtigen in diesem Mord aufgetaucht. Auch das sorgte für unschöne Schlagzeilen. «Vielleicht war das der UEFA einfach zu viel. Aber wie gesagt, das sind Vermutungen», so Huber.
Diese Spiele finden in einem sehr politisierten Umfeld statt.
Der Krieg um Berg-Karabach ist noch nicht lange her. Judith Huber vermutet daher, dass der Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien indirekt Auswirkungen auf die Fussball-EM haben könnte. In letzter Zeit hätten nämlich die Spannungen wieder ziemlich zugenommen. «Diese Spiele finden also in einem sehr politisierten Umfeld statt.»