Auch Deutschland versucht gerade, eine grosse Zahl von Menschen aus Afghanistan zu evakuieren. Deutsche und afghanische Staatsangehörige, die als Ortskräfte für Deutschland gearbeitet haben und nun die Rache der Taliban fürchten.
Doch die Rettungsaktion scheint schleppend und teils chaotisch zu verlaufen. Erst drei Maschinen sind nach neusten Angaben aus Kabul abgeflogen, die erste in der Nacht auf Dienstag – obwohl die Bundeswehr laut übereinstimmenden Berichten bereits am Samstag bereit gewesen wäre.
Warum so spät?
Warum die Bundesregierung so lange zögerte, kann noch nicht abschliessend beantwortet werden, wie Kilian Pfeffer von ARD-Hauptstadtstudio in Berlin erklärt. Die Opposition kritisiere zu viel Bürokratie, zu wenig Pragmatismus und zu wenig Verantwortung. Möglicherweise habe man gehofft, die Frage bis nach der Bundestagswahl hinausschieben zu können, so eine andere Kritik.
Die Verteidigungsministerin und der Aussenminister wiesen ihrerseits richtigerweise darauf hin, dass niemand mit einer derart schnellen Machtübernahme der Taliban gerechnet habe, so Pfeffer.
Regierung verteidigt sich
Richtig ist aber laut Pfeffer auch: «Man hätte früher handeln können und hat es nicht getan und hat jetzt den Schlamassel.» Entsprechend bohrend werde auf Regierungspressekonferenzen die Frage gestellt, ob nicht ein beherzteres Eingreifen möglich gewesen wäre. Dies verneine die Regierung und verweise auf die grosse Planungsarbeit in der gefährlichen und unübersichtlichen Lage.
Zumindest Bundeswehr-Verantwortliche hätten einigermassen nachvollziehbar erläutert, dass es nicht so einfach ist, wie es sich aus der Ferne darstellt. Der Eindruck, die Regierung agiere manchmal etwas hilflos, habe sich aber festgesetzt und werde wohl nicht so rasch zu korrigieren sein.
Der Eindruck, die deutsche Regierung agiere manchmal etwas hilflos, hat sich festgesetzt und wird wohl nicht so rasch zu korrigieren sein.
Bundeskanzlerin Angela Merkel räumte kürzlich ein, dass viele afghanische Ortskräfte vermutlich nicht mehr evakuiert werden könnten. Ob dem so ist, dürfte laut Pfeffer auch davon abhängen, ob es den Ortskräften gelingt, aus den verschiedenen Landesteilen nach Kabul zu kommen. Die Taliban hätten zwar Korridore in dem um den Flughafen gezogenen Belagerungsring zugesagt. Was sich hinter dieser Ankündigung verbirgt, werde sich zeigen.
SPD und CDU/CSU hatten noch im Juni den Antrag der Grünen abgeschmettert, auch Ortskräfte aus Afghanistan aufzunehmen. Jetzt fordern führende Köpfe der Union die Evakuierung dieser Menschen als erste Priorität. Entsprechend gibt es Kritik, die damalige Abwehrhaltung sei aus wahltaktischen Gründen erfolgt, um vorerst keine neuen Flüchtlinge aufnehmen zu müssen.
Wahltaktik?
Pfeffer präzisiert diesbezüglich, dass es bei den zu rettenden Ortskräften um eine überschaubare Zahl von Menschen gehe, auf der anderen Seite um eine Flüchtlingswelle, die eventuell ausgelöst werde könnte. Aber man sei sicher darauf bedacht gewesen, keine Anreize zu schaffen. Die Forderung, 2015 dürfe sich nicht wiederholen, sei wiederholt bei Unionspolitikern gefallen. Auch in der Hoffnung, der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen, die jetzt mit einem griffigen Wahlkampfthema frohlocke.
In der deutschen Öffentlichkeit sei die Bestürzung dann aber doch gross, dass man so eine Fehleinschätzung getroffen habe und irgendwie überfordert gewesen sei, beobachtet Pfeffer. Allgemeine Schlussfolgerungen seien schwierig: «Aber ich glaube, dass das Vertrauen nach verschiedenen anderen Affären, wo die Bundesregierung nicht rechtzeitig handelte, doch einigermassen erschüttert ist.»