Nach der Explosion in einer belebten Strasse von Istanbul am Sonntagnachmittag hat die türkische Polizei offenbar eine verdächtige Person festgenommen, die die Bombe deponiert haben soll. Beim Anschlag wurden mindestens sechs Menschen getötet und mehr als 40 schwer verletzt. Der in Istanbul lebende Journalist Thomas Seibert zweifelt an der These der türkischen Regierung, wonach die PKK für den Anschlag verantwortlich sein soll.
SRF News: Welche Informationen über die Festnahme sind derzeit bekannt?
Thomas Seibert: Es gibt bloss die Stellungnahme von Innenminister Süleyman Soylu, wonach eine Person festgenommen worden sei. Diese Person habe den Anschlagsbefehl aus Nordsyrien erhalten. Das Gebiet wird von der YPG, einem Ableger der verbotenen türkischen Arbeiterpartei PKK, beherrscht. Nähere Informationen der türkischen Behörden gibt es derzeit nicht.
Gibt es ein Bekennerschreiben?
Bislang nicht. In der Vergangenheit hatte sich die PKK zu solchen Anschlägen – von denen sie sehr viele verübt hat – jeweils bekannt, wenn sie dafür verantwortlich war.
Wie plausibel ist es, dass die PKK für den Anschlag verantwortlich ist?
Tatsache ist, dass die PKK seit Längerem durch den starken Druck der türkischen Armee geschwächt ist. Seit Jahren befinden sich in Nordirak türkische Truppen, um die Nachschubwege der PKK abzuschneiden.
Der türkische Innenminister machte indirekt die USA für den Anschlag mitverantwortlich.
Der türkische Innenminister Soylu machte bei seiner Stellungnahme in der Nacht auf Montag indirekt auch die USA für den Anschlag mitverantwortlich. Der führende Hardliner im Regierungskabinett ist als Antiamerikaner bekannt – und die USA arbeiten in Nordsyrien seit Jahren mit der Kurdenmiliz YPG zusammen, welche dort gegen die Terroristen des «Islamischen Staats» kämpft. Soylu sagte, die Beileidsbekundungen der US-Regierung nach dem Anschlag vom Sonntag würden der Vorstellung ähneln eines Täters, der zum Tatort zurückkehre.
Welche Absichten verfolgt die PKK mit der Bluttat – wenn sie denn tatsächlich dafür verantwortlich ist?
Das ist nicht ganz klar. Einerseits ist die PKK militärisch und organisatorisch sehr schwach, andererseits gibt es in letzter Zeit einen vorsichtigen Annäherungsprozess der in der Türkei legalen Kurdenpartei HDP und der Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan.
Die PKK ist militärisch und organisatorisch sehr schwach.
Möglicherweise versuchen also Hardliner in der PKK, diesen Prozess zu stören. Allerdings halte ich das für wenig wahrscheinlich – ich glaube nicht, dass die PKK derzeit überhaupt für einen solchen Anschlag fähig ist.
Im nächsten Sommer sind Wahlen in der Türkei. Schon in der Vergangenheit gab es jeweils Vorwürfe, Erdogan und seine AKP würden Terroranschläge politisch ausnutzen, um Stärke zu markieren. Wie schätzen Sie solche Vorwürfe ein?
Diese Vorwürfe wurden auch jetzt wieder laut. Ein Oppositionspolitiker sagte, er hoffe nicht, dass jetzt eine ähnliche Entwicklung beginne wie 2015. Damals hatte die AKP eine Parlamentswahl verloren. In den Monaten danach kam es zu mehreren schweren Terroranschlägen in der Türkei, mehr als 100 Menschen wurden getötet.
Von einigen Oppositionspolitikern steht der Vorwurf im Raum, die AKP habe die Gewalt 2015 für politische Zwecke genutzt.
Die Wahlen wurden schliesslich wiederholt, die AKP präsentierte sich als Sicherheitsgarant und gewann die Wahl. Seitdem steht der Vorwurf von einigen Oppositionspolitikern im Raum, die AKP habe die Gewalt damals für politische Zwecke genutzt. Dafür gibt es allerdings keine Beweise.
Das Gespräch führte Claudia Weber.