Es war also Nowitschok. Dieses in sowjetischen Geheimlabors entwickelte Nervengift hat Alexej Nawalny fast umgebracht. Er liegt auch jetzt, rund zwei Wochen nach dem Angriff, immer noch im Koma. Die Ärzte der Berliner Charité bezeichnen seinen Zustand als ernst.
Dass Nawalny gefährlich lebte, wusste man. Das wusste auch er selbst. Doch die Täter haben eine Waffe gewählt, die so grausam wie ungewöhnlich ist. Und die aus dem Angriff eine internationale Krise macht.
Gut vernetzte Leute
Nervengifte der Nowitschok-Gruppe kann man nicht im Heim-Labor zusammenmischen. Man kann sie auch nicht auf dem Schwarzmarkt kaufen. Zu solchen Giften haben nur gut vernetzte Leute Zugriff. In Russland wären das die Geheimdienste oder die Armee.
Der bekannteste russische Oppositionelle wurde also mit einem Gift angegriffen, das, nach allem was man weiss, nur von staatlichen Stellen eingesetzt werden kann. Was bedeutet das? Ist das die Smoking Gun im Kreml?
Als hätte man es mit einer Maus zu tun
Um es mit einem Gleichnis zu beschreiben: Geht man durch einen Wald und trifft auf etwas Grosses, Braunes, das laut brüllt – dann kann es natürlich eine Maus sein, ist aber mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit ein Bär.
Will heissen: Natürlich gibt es keine Beweise, dass der Kreml oder gar Präsident Putin persönlich in den Giftanschlag verwickelt sind. Aber es sieht doch ziemlich danach aus, dass staatliche Strukturen mitgewirkt haben. Eben: Es sieht aus wie ein Bär. Das Problem ist, dass die russischen Behörden so tun, als hätten wir es mit einer Maus zu tun. Oder noch besser, als wisse man gar nicht, was das für ein Tierchen ist.
Bisher jedenfalls kam von offiziellen russischen Stellen keine plausible Erklärung, was mit Nawalny passiert ist. Erst diagnostizierten staatliche Ärzte eine Unterzuckerung sowie Probleme mit dem Stoffwechsel. Jetzt sprechen sie von einer Entzündung der Bauchspeicheldrüse.
Man wird den Eindruck nicht los, dass hier die eigentliche Diagnose mit Nebelgranaten verschleiert werden soll.
Der Hauptverdächtige verhält sich verdächtig
Und die russische Politik sekundiert: Die Sprecherin des Aussenministeriums erklärte am Mittwochabend, Berlin soll erst einmal Fakten liefern. «Unsere Botschaft hat rund um die Uhr geöffnet, wir warten auf die Unterlagen.» Ein Kreml-naher Parlamentarier beklagte, die Deutschen würden mit Vorwürfen um sich werfen – statt mit Russland zusammenzuarbeiten.
Russland strickt sich seine eigene, alternative Realität zurecht. Eine Realität, in der Nawalny gar nicht vergiftet wurde und in der Russland grundlos am Pranger steht.
Wie gesagt: Es gibt keine harten Beweise, dass der Kreml oder andere staatliche Stellen in den Mordversuch an Nawalny verwickelt waren. Aber der Hauptverdächtige verhält sich – man kann es nicht anders sagen – ziemlich verdächtig.