Darum geht es: Bei der Siegerinnenehrung nach dem WM-Final hat Spaniens Verbandspräsident Luis Rubiales die Spielerin Jennifer Hermoso ungefragt auf den Mund geküsst. Diese Aktion sorgte nicht nur bei den Zuschauenden, sondern auch in Regierungskreisen Spaniens für Empörung.
So reagierte Jennifer Hermoso: Die Weltmeisterin sagte nach dem Vorfall in Sydney in einem Instagram-Livestream, dass ihr die Aktion «nicht gefallen» habe. In den sozialen Medien kritisierte Hermoso den 46-Jährigen für dessen Aktion: «Ich habe mich verletzlich und als Opfer einer impulsiven, sexistischen und unangebrachten Handlung gefühlt, der ich nicht zugestimmt habe», schrieb die 33-Jährige in einer Erklärung.
So reagierte Luis Rubiales: Nachdem sich Rubiales vor den Medien verteidigt und den Kuss als eine «Geste zwischen zwei Freunden» bezeichnet hatte, entschuldigte er sich aufgrund der immer lauter werdenden Kritik bei Hermoso. Rubiales wurde seither aus vielen Richtungen massiv kritisiert und zum Rücktritt aufgefordert – diesen Schritt lehnte er jedoch ab. Stattdessen stellte sich Rubiales bei einer Rede vor der ausserordentlichen Generalversammlung des Fussballverbandes in Madrid selbst als Opfer dar.
So handelt die Justiz: Die spanische Staatsanwaltschaft ist mittlerweile im Fall aktiv geworden. Die Behörde werde Jennifer Hermoso fragen, ob sie Anzeige erstatten wolle, teilte erstere am nationalen Staatsgerichtshof in Madrid am Montag mit. Die Staatsanwaltschaft geht demnach «aufgrund der eindeutigen öffentlichen Erklärungen» davon aus, dass die 33 Jahre alte Hermoso Opfer eines mutmasslichen sexuellen Übergriffs geworden sein könne, da es offenbar «keine Art von Einwilligung» gegeben habe.
Die Behörde kann jedoch nicht von Amts wegen handeln und benötigt nach spanischem Recht eine Anzeige der Spielerin oder eines Rechtsvertreters. Wie der Radiosender Cadena Ser berichtete, hat Hermoso nach der Anfrage 15 Tage Zeit, um Anzeige zu erstatten.
Das sagt der Verband: Der spanische Fussballverband RFEF stand zunächst hinter Rubiales. Er bezichtigte Hermoso der Lüge und drohte ihr mit rechtlichen Schritten. Am Montag, nach einer Sitzung der Präsidenten der Regionalverbände, dann die Kehrtwende: Der RFEF forderte Rubiales zum sofortigen Rücktritt auf: «Nach den jüngsten Ereignissen und den inakzeptablen Verhaltensweisen, die dem Image des spanischen Fussballs schwer geschadet haben», müsse er zurücktreten.
Das sagt die Politik: Spaniens Ministerpräsident Pedro Sanchez hatte zwei Tage nach dem Vorfall von einer «inakzeptablen Geste» gesprochen. Felix Bolanos, Minister des Präsidialamtes, drohte, die Regierung werde handeln, sollte der Verband nicht die nötigen Schritte tätigen. Und die oberste spanische Sportbehörde CSD kündigte an, beim Sportgerichtshof Tad die Suspendierung des Verbandschefs zu beantragen. Rund eine Woche nach dem Vorfall äusserten sich auch die Vereinten Nationen kritisch gegenüber Rubiales: «Wie schwierig ist es, jemanden nicht auf die Lippen zu küssen?», fragte der Sprecher von UNO-Generalsekretär António Guterres, Stephane Dujarric. Er sehe «keinen Hinweis darauf», dass der Kuss (...) einvernehmlich gewesen sei, führte Dujarric aus. Und schloss: «Es gibt weiterhin ein kritisches Problem des Sexismus im Sport und wir hoffen, dass die spanischen Behörden und die spanische Regierung dieses Problem auf eine Weise angehen, die die Rechte aller Sportlerinnen respektiert».
Das sind die bisherigen Konsequenzen: Als Reaktion auf den Kuss-Vorfall sperrte die Fifa-Disziplinarkommission Rubiales vorläufig für 90 Tage. Dies gelte für alle fussballbezogene Aktivitäten auf nationaler und internationaler Ebene, so die Fifa in einer Erklärung.
Trotz der Suspendierung will Rubiales mit allen Mitteln um seine Machtposition kämpfen, wie der spanische Fussballverband RFEF in einem Statement verlauten liess. Er vertraue den Fifa-Instanzen «voll und ganz» und erhalte durch das gegen ihn eingeleitete Disziplinarverfahren die Möglichkeit, «seine Verteidigung zu beginnen, damit die Wahrheit siegt und seine völlige Unschuld bewiesen wird».
So geht es weiter: Ob Rubiales auch vom spanischen Verband suspendiert wird oder doch noch selbst zurücktritt, ist ungewiss. Doch der Druck auf ihn wächst: Das gesamte spanische Frauen-Nationalteam hat angekündigt, dass es nicht mehr für «La Roja» spielen will, solange «die aktuellen Führungspersonen» im Amt bleiben. Diese Drohung richtet sich auch an Weltmeisterinnen-Trainer Jorge Vilda, der Medienberichten zufolge während des WM-Finals einer Assistentin an die Brust gefasst haben soll. Zuvor hatte bereits der spanische Nationalspieler Borja Iglesias angekündigt, aus Protest nicht mehr für Spaniens Männer-Nationalmannschaft aufzulaufen.
Immerhin hält Rubiales' Mutter noch zu ihm: Medienberichten zufolge ist die Frau nach der «unmenschlichen und blutigen Jagd» auf ihren Sohn in einen Hungerstreik getreten. Sie habe sich in einer Kirche in der andalusischen Stadt Motril in einer Kirche eingeschlossen und wolle den Streik «Tag und Nacht» fortsetzen, bis «der Gerechtigkeit Genüge getan» sei.