In klaren Nächten, wenn der Himmel über der südafrikanischen Halbwüste Karoo mit Millionen von Diamanten übersät zu sein scheint, versammelt Amy Lee Visagie ein paar Kinder um sich und erklärt ihnen die Wunder des Nachthimmels.
Ich glaube, dass all die Sterne die Seelen unserer Vorfahren repräsentieren.
Sie ist eine Nachfahrin des Urvolkes San, gilt heute als eine sogenannte Farbige und fühlt sich mit den Sternen tief verbunden. «Ich glaube, dass all die Sterne die Seelen unserer Vorfahren repräsentieren. Wenn ich sie sehe, fühle ich mich besser.»
«Die Seelen können zwar nicht mit mir sprechen, doch vielleicht sprechen sie durch die Sterne mit mir», sinniert Amy Lee, während sich ihr Blick im Sternenmeer verliert.
Ins Weltall lauschen
Die 23-Jährige ist eine der jungen Sternenführerinnen, deren Ausbildung das Square Array Kilometer (SKA) finanziert hat.
Das SKA ist das weltweit grösste astronomische Programm, das aus Südafrika und Australien ins Universum lauschen wird. In der Karoo-Halbwüste stehen bereits über hundert Radioteleskope.
Sternenführerin Amy Lee lebt in einem Slum ausserhalb der Kleinstadt Carnavon. Dort teilt sie sich eine Blechhütte mit sechs Familienmitgliedern.
Sie ist keine, die klagt. Sie betont die Liebe, die in dieser Hütte spürbar sei, nicht die Hitze von über 40 Grad.
Monatelange Ausbildung zur Sternenführerin
Vom SKA wurde Amy Lee ausgewählt, weil sie schon im Gymnasium auffiel und einen nationalen Wettbewerb für Tourismusvorschläge gewann.
Die Ausbildung zur Sternenführerin dauerte neun Monate. Die junge Frau muss sich in moderner Astronomie, aber auch im traditionellen Wissen der San auskennen. Mit Ana von Weyk, einer sogenannten Wissensträgerin der San, studiert sie im lokalen Museum.
Dort ist vor allem die Geschichte der Weissen dokumentiert. Kleider, Fuhrwerke, alte Schreibmaschinen und Uniformen aus dem Zweiten Weltkrieg.
Auf die San weisen lediglich zwei Strausseneier mit einem Loch hin, die das Urvolk früher als Wasserbehälter nutzte und vergraben hat, wie Ana van Weyk ihrer Studentin erklärt.
Unsere Geschichte stirbt aus, wenn niemand darüber redet
Amy Lee betont, wie wichtig Menschen wie van Weyk sind. «Unsere Geschichte stirbt aus, wenn niemand darüber redet. Menschen wie sie erhalten unsere Geschichte für kommende Generationen lebendig.»
Aus den Funken des Feuers entstand die Milchstrasse
Von den Geschichten ihrer Vorfahren erzählt auch Amy Lee, wenn sie Touristen in die Nacht mitnimmt. «Die Buschleute brauchten zur Orientierung das Kreuz des Südens, aber auch unsere Galaxie, die Milchstrasse», sagt sie, während sie an einem kleinen Feuer sitzt.
«Sie glaubten, dass ein Mädchen, das für die Männer ein Licht schaffen wollte, die Milchstrasse erschaffen hat, damit diese in der Nacht nach der Jagd wieder zurückfinden. Eines Tages, während das Mädchen beim Feuer sass, nahm es einige Kohlestücke und warf sie hinauf in den Himmel. So, glauben die Buschleute, ist die Milchstrasse erschaffen worden.»
Dann geht Amy Lee über zur Moderne und zeigt mithilfe des mitgebrachten Teleskops auf einige Planeten, die im Sternenhimmel kaum auszumachen sind, da so viele zu sehen sind.
Der Wind der Karoo pfeift, ein Nachtvogel schreit, während die junge Sternenführerin sprichwörtlich nach den Sternen greift.
Aus dem Leben einer Sternenführerin der San
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Bild 1 von 13. Amy Lee ist stolz darauf, als Sternenführerin die Uniform des Tourismusdepartements tragen zu dürfen. Bildquelle: SRF/Cristina Karrer.
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Bild 2 von 13. Amy Lee Visagie lebt mit ihrer Familie in der einzigen bemalten Blechhütte des Quartiers. Bildquelle: SRF/Cristina Karrer.
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Bild 3 von 13. Amy Lee macht ihrer Schwester die Haare. Sieben Personen wohnen in der Hütte im Slum ausserhalb von Carnavon. Bildquelle: SRF/Cristina Karrer.
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Bild 4 von 13. Jeder Tag ist in der südfrikanischen Karoo ein neues Spektakel. Bildquelle: SRF/Cristina Karrer.
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Bild 5 von 13. Abendstimmung in der Karoo-Halbwüste. Bildquelle: SRF/Cristina Karrer.
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Bild 6 von 13. Das Erbe der San ist überall in der Karoo-Halbwüste verstreut – mittels der Gravuren auf metallhaltigen Steinen. Bildquelle: SRF/Cristina Karrer.
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Bild 7 von 13. Amy Lee Visagie (rechts) und ihre Mentorin, Ana van Weyk in der Halbwüste. Die Steine sind eine wichtige Wissensvermittlung. Bildquelle: SRF/Cristina Karrer.
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Bild 8 von 13. Die Wissensträgerin Ana van Weyk fühlt sich hier ihren Vorfahren besonders nahe. Bildquelle: SRF/Cristina Karrer.
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Bild 9 von 13. Funken haben die Milchstrasse erschaffen, glauben die San. Bildquelle: SRF/Cristina Karrer.
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Bild 10 von 13. Teil des nächtlichen Ausflugs zum Sternengucken ist der Tanz der San, den sie bei Voll- und Leermond tanzten – zu Ehren der Natur. Bildquelle: SRF/Cristina Karrer.
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Bild 11 von 13. Amy Lee kalibriert das Fernrohr, damit die Objekte des nächtlichen Himmels optimal beobachtet werden können. Bildquelle: SRF/Cristina Karrer.
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Bild 12 von 13. In der Karoo sieht man den Sternenhimmel der südlichen Hemisphäre besonders gut, denn es gibt kaum Störungen durch Lichtquellen. Bildquelle: SRF/Cristina Karrer.
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Bild 13 von 13. In der Halbwüste Karoo stehen bereits mehr als 100 dieser Teleskope, um mit ihnen ins Universum zu lauschen. Bildquelle: SRF/Cristina Karrer.