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Fehlende Heimatüberweisung Angehörige in Afrika trifft die Krise mitten in den Bauch

  • Viele Migrantinnen und Migranten schicken regelmässig Geld in ihre Herkunftsländer. Sie unterstützen damit Verwandte zu Hause.
  • Rund 500 Milliarden Franken pro Jahr fliessen so in ärmere Länder. In Afrika sind diese Überweisungen bedeutender als die Entwicklungshilfe.
  • Nun prognostiziert die Weltbank, dass die Geldsendungen in diesem Jahr um 20 Prozent zurückgehen werden – wegen der Corona-Pandemie.
  • Das bedroht viele Menschen südlich der Sahara in ihrer Existenz.

Jeden Monat trafen die 150 Dollar aus den USA bei Rayan Wani ein. Doch das war einmal, seufzt die Südsudanesin. Im Februar habe sie letztmals Geld erhalten. Die eigene Wohnung in Kenias Hauptstadt Nairobi musste sie aufgeben und sie kam bei einer Verwandten unter. Elf Personen leben nun in der Dreizimmerwohnung. Ihren richtigen Namen will die 32-Jährige nicht nennen.

Über Geld spricht sie nicht oder nur ungern. Die Unterstützung aus den USA kam einige Jahre lang für die Miete, von einem Cousin. Doch nun ist der Cousin wegen des Coronavirus arbeitslos. «Er sagte, er habe kein Geld und muss noch seine Mutter unterstützen», so Wani. «Ich sagte: kein Problem.»

Nicht nur die Empfängerländer haben Schwierigkeiten, sondern auch jene, aus denen das Geld üblicherweise kommt.
Autor: Dilip Ratha Ökonom bei der Weltbank

Doch es ist ein Problem für Millionen von Menschen weltweit. Dilip Ratha ist Experte der Weltbank für Heimatüberweisung, im Fachjargon Rimessen genannt. Er prognostiziert den Rückgang der Gelder: «Noch nie in der Geschichte nahmen die Rücküberweisungen um 20 Prozent ab. Nur einmal in der globalen Finanzkrise, 2009 sind sie zurückgegangen, um fünf Prozent.»

Ihre Existenz ist bedroht

Die Heimatüberweisung bilden für viele Familien in Afrika eine Lebensgrundlage. In Südsudan etwa machen sie ein Drittel des Bruttoinlandproduktes aus. Zudem dienen sie als Sicherheitsnetz, als Versicherung bei unerwarteten Problemen, Todesfällen, Unwettern.

«Wenn die Familie zu Hause Schwierigkeiten hat, schicken Migranten oft Geld. Doch diesmal ist es nicht so, weil nicht nur die Empfängerländer Schwierigkeiten haben, sondern auch jene, aus denen das Geld üblicherweise kommt», sagt Ratha.

In Abu Dhabi sitzt der Kenianer James Masinde ohne Arbeit auf seinem Bett. «Es ist meine Pflicht, die Familie zu unterstützen. Meine Eltern haben mich aufgezogen. Also müsste ich Ihnen auch etwas zurückzahlen.» Dem 30-Jährigen, auch sein Name ist geändert, fehlen nun die 60 Franken im Monat, welche seine Mutter für Medikamente benötigt.

Es trifft die Menschen mitten in den Bauch.
Autor: Dilip Ratha Ökonom bei der Weltbank

Verglichen mit anderen Afrikanern in den Golfstaaten geht es ihm noch gut. Er hat keine Schulden, ein Dach über dem Kopf, und seine Firma will ihn später wieder einstellen. Viele Kollegen sitzen auf der Strasse, doch Masindes Mutter muss nun für sich selbst sorgen. «Sie versteht meine Situation. Wir geben uns Hoffnung, dass alles gut wird. Doch über Geld sprechen wir im Moment nicht.»

Weltbankökonom Ratha prognostiziert: «Rund 100 Milliarden Franken Heimatüberweisung werden dieses Jahr weltweit fehlen. Es trifft die Menschen mitten in den Bauch.» Familien könnten sich kein Essen mehr kaufen, Kinder würden unterernährt, eine menschliche Tragödie drohe.

Hoffen auf Wiederaufnahme der Arbeit

Die Folgen von Unterernährung bei Kleinkindern sind noch Jahrzehnte später messbar. Die zwei Kinder von Rayan Wani sind schon etwas grösser, und sie kriegen bei ihrer Verwandten zu essen. Dort zu wohnen und nichts beitragen zu können, das mag sie zwar nicht. Doch Arbeit gibt es in Kenia kaum.

Und so hofft man in vielen afrikanischen Ländern, dass zumindest anderswo bald wieder gearbeitet werden kann.

Echo der Zeit, 05.05.2020, 18 Uhr

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