Wer im Sicherheitsrat ist, gehört einem erlauchten Kreis von bloss fünfzehn von 193 Mitgliedsländern an. Deshalb wollen die fünf Vetomächte USA, Russland, China, Grossbritannien und Frankreich keinesfalls auf ihren ständigen Sitz verzichten. Deutschland, Brasilien, Japan oder Indien fordern ebenfalls einen solchen ständigen Sitz.
Und viele weitere, auch kleinere Länder, wollen in das Schlüsselgremium. Die meisten kommen nur alle paar Jahrzehnte zum Zug. Für die Schweiz, die der UNO seit 2002 angehört, wäre die Wahl sogar eine Premiere.
Wahl der Schweiz so gut wie sicher
Die Schweizer Kandidatur wurde vor Jahren aufgegleist, die «Wahlkampagne» war professionell geführt. Die Kür durch die UNO-Generalversammlung ist so gut wie sicher. Ein Rückzug im letzten Moment, wie ihn rechte Kreise anstreben, würde daher am UNO-Sitz und in vielen Hauptstädten für Verblüffung sorgen und Zweifel an der aussenpolitischen Verlässlichkeit der Schweiz wecken.
Mit der Neutralität lässt sich ein Verzicht schwerlich begründen. Rechtlich verlangt diese bloss, dass die Schweiz sich nicht an Kriegen beteiligt und keine Allianzen eingeht. Welche politischen Selbstverpflichtungen sich die Schweiz darüber hinaus auferlegt, bestimmt sie selber.
Neutrale und bündnisfreie Länder wie Schweden, Finnland oder Österreich waren Mitglieder des Sicherheitsrates, teils schon mehrfach. In diesen Staaten war es unumstritten, die Rolle auszufüllen. Sie taten es mit viel Engagement. Ein freiwilliges Abseitsstehen war keine Option.
Das Gewicht eines nichtständigen Mitglieds im Sicherheitsrat darf nicht überschätzt werden – den Ton geben dort die fünf Vetomächte an –, aber auch nicht unterschätzt. Nichtständige Mitglieder, besonders neutrale, können Brücken bauen, vermitteln und Themen einbringen, die ihnen am Herzen liegen. Natürlich müssen sie sich in Abstimmungen positionieren. Das tun sie auch in der Generalversammlung oder im Menschenrechtsrat.
Auch eine Enthaltung ist eine Haltung
Doch im Sicherheitsrat werden Positionsbezüge sichtbarer. Zwar kann man sich auch der Stimme enthalten. Aber selbst das drückt eine Haltung aus – etwa im Zusammenhang mit Russlands Krieg gegen die Ukraine, bei dem die Schuldfrage klar ist. Diplomatische Vertreter neutraler Staaten bei der UNO erzählen, sie hätten während ihrer Zeit im Sicherheitsrat kaum je Stimmenthaltung geübt.
Fast immer sei klar gewesen, welche Position man unterstütze. Druckversuche vor allem durch mächtige Staaten hätten jeweils abgenommen, sobald klar gewesen sei, dass ein neutraler Staat einen klaren Kurs verfolgt und sich nicht beirren lässt.
Ein solch klarer Kurs kann für die neutrale Schweiz nur darin bestehen, sich nicht an einzelnen Ländern oder Gruppen zu orientieren, sondern an Prinzipien: An der UNO-Charta, der Menschenrechtskonvention und am humanitären Kriegsvölkerrecht, das in der Genfer Konvention formuliert ist.
Wenn das die Massstäbe sind, ist der Positionsbezug meistens offenkundig und der Welt gut zu vermitteln. Die Schweiz schlüge sich damit nicht auf die Seite Washingtons, Brüssels, Moskaus oder Pekings. Sondern jeweils auf die Seite jener, die im Sicherheitsrat ebenfalls die grundlegenden rechtsstaatlichen und völkerrechtlichen Werte unterstützen, genauso wie es andere neutrale Länder taten oder tun.
Deshalb stellt sich für die UNO und ihre Mitglieder nicht die Frage, warum die Schweiz im Sicherheitsrat mitwirken soll. Sondern vielmehr: Warum sollte ausgerechnet sie das nicht tun?