Alexej Nawalny ist der bekannteste und einflussreichreichste Oppositionelle Russlands. Kaum jemand kam ihm so nahe wie der kanadische Regisseur Daniel Roher. Für seinen preisgekrönten Dokumentarfilm «Nawalny» begleitete Roher ihn über Monate hinweg: kurz nachdem Alexej Nawalny nach dem gescheiterten Giftanschlag aus dem Koma erwachte, bis zu dessen Verhaftung in Russland.
SRF News: Daniel Roher, wie haben Sie Nawalnys Vertrauen gewinnen können?
Daniel Roher: Ich habe ihn ermutigt, über eine mögliche Zukunft nachzudenken, in der er nach Russland zurückkehrt und verhaftet wird. Im Gefängnis braucht er ein Mittel, um seinen Namen im weltweiten Bewusstsein zu halten. Ich erklärte ihm, dass ein Dokumentarfilm genau das tun würde. Als wir dann zusammen filmten, haben wir langsam eine Beziehung und Vertrauen aufgebaut.
Die Details einer geheimen Mission zur Ermordung des russischen Oppositionsführers am Telefon preiszugeben, ist zutiefst idiotisch.
Der Film zeigt, wie Nawalny nach seinen Angreifern sucht, die versucht haben, ihn zu vergiften. Ihnen ist es gelungen, ein Geständnis zu filmen, in einem offenen Telefongespräch. Wie war das möglich?
Ich denke, wir haben eine gewisse Vorstellung davon, wie Spione und Agenten arbeiten. Aber wie wir in unserem Film zeigen, sind viele dieser raffinierten Agenten in Wirklichkeit komplette Idioten. Die Details einer geheimen Mission zur Ermordung des russischen Oppositionsführers am Telefon preiszugeben, ist zutiefst idiotisch. Das System Putin ist auf Korruption und Vetternwirtschaft aufgebaut.
Hätte Alexej Nawalny aus Ihrer Sicht mehr bewirken können, wenn er nicht nach Russland zurückgekehrt wäre?
Letztendlich geht es um die Frage nach dem Wert eines politischen Gefangenen. Ich glaube, dass es einen gewissen Wert hat, ein politischer Gefangener zu sein, auch wenn es brutal und schwierig ist. Nawalny befindet sich in diesem schrecklichen Gulag in Einzelhaft, aber er verfügt immer noch über eine grosse Macht, da die Augen der Welt auf ihn gerichtet sind.
Nawalny kann der Welt zeigen, dass Putin nicht Russland und Russland nicht Putin ist – und das ist im Moment sehr wichtig.
Glauben Sie, dass er aus dem Gefängnis tatsächlich noch etwas bewirken kann?
Nawalny kann der Welt zeigen, dass Putin nicht Russland und Russland nicht Putin ist – und das ist im Moment sehr wichtig. Es gibt eine alternative Vision für das, was Russland sein kann. Das ist, wofür Nawalny und sein Team mutig eintreten und kämpfen.
Nawalny war als Politiker ja auch populistisch. Haben Sie ihn zu heldenhaft dargestellt?
Ich bin Filmregisseur, nicht Journalist. Ich bin an der Wahrheit interessiert, aber auch an Emotionen. Doch davon abgesehen: Ich bin fest davon überzeugt, dass man nicht objektiv sein kann, wenn es um Werte wie Demokratie, Menschenrechte, Meinungs- und Pressefreiheit geht.
Doch wenn ich als Filmemacher ernst genommen werden will, muss ich Nawalny die schwierigen Fragen stellen. Das habe ich getan. Und er hatte den Mut und die Tapferkeit, sie zu beantworten.
Was haben Sie persönlich auch dieser gemeinsamen Zeit mit Nawalny mitgenommen?
Nawalny erinnerte mich stets an den Wert und die Notwendigkeit von Diskussionen und Debatten. Wir müssen uns daran erinnern, dass ein Dialog mit dem politischen Gegner in einer Demokratie notwendig und lebenswichtig ist. Das ist es, wofür Nawalny mehr als alles andere plädiert. Und am Ende des Filmes erinnert er uns daran, dass Tyrannen und Diktatoren nur dann böse sein können, wenn gute Menschen nichts tun. Nawalny erinnert uns daran, dass wir nicht untätig sein sollten.
Das Gespräch führte Barbara Lüthi.
Hinweis: Der preisgekrönte Dokumentarfilm «Nawalny» ist noch bis 20. Oktober auf den Plattformen von SRF verfügbar.