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«Für den Finanzplatz London gehts weiter –mit oder ohne Abkommen»
Aus Echo der Zeit vom 09.12.2020. Bild: Keystone
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Finales Ringen um Handelspakt Warum bleibt der Finanzplatz London so «cool» im Brexit-Sturm?

Während die Unternehmen ohne einen Brexit-Handelspakt ein heilloses Chaos befürchten, blickt der Finanzplatz London den kommenden Wochen relativ entspannt entgegen, wie der Volkswirtschaftler und Politologe Michael H. Grote feststellt.

Michael H. Grote

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Michael H. Grote ist Professor an der Frankfurt School of Finance & Management. Er beschäftigt sich mit Unternehmensfinanzierung und Kapitalmärkten.

SRF News: Wieso fällt es der Finanzwirtschaft so viel leichter, sich mit dem Brexit zu arrangieren?

Michael H. Grote: Für den Finanzplatz London wird sich wenig ändern – mit oder ohne Abkommen. Bei der Realwirtschaft dagegen ist das anders. So etwa bezüglich der baldigen Steuern, die ein britisches Unternehmen beim Export in die EU zahlen muss. Zu denken ist auch an Kontingente und möglicherweise einzelne Sicherheitsstandards, die nicht mehr anerkannt werden. Vieles von dem ist für den Finanzplatz und die Finanzprodukte nicht relevant.

Für den Finanzplatz London wird sich wenig ändern – mit oder ohne Abkommen.

Wäre dem Finanzplatz London also ein harter Brexit egal?

So würde ich das nicht sagen. Es wird schon eine Rolle spielen, welche Regulierung von welcher Seite wie anerkannt wird. Etwa ob die Kontinentaleuropäer meinen, dass die Regulierung in London ausreichend sicher ist. Das würde allenfalls noch den Umzug von weiteren Mitarbeitern weg aus London bedeuten. Aber das sind insgesamt kleine Zahlen.

Johnson und von der Leyen: Brexit-Dinner in Brüssel

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Der britische Premierminister Boris Johnson ist mit einer scharfen Ansage in das vielleicht entscheidende Gespräch mit EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen über den Brexit-Handelspakt gegangen. Die EU bestehe auf einigen Standpunkten, die «kein Premierminister dieses Landes akzeptieren sollte», sagte Johnson am Mittwoch im Parlament in London. Ein guter Deal sei noch möglich. Die EU-Seite dämpfte die Erwartungen an das Gespräch.

Johnson und von der Leyen wollten heute Mittwochabend ab 20 Uhr bei einem Abendessen in Brüssel versuchen, die strittigen Punkte zu klären. Dies sind die EU-Forderung nach fairen Wettbewerbsbedingungen, die Fischerei in britischen Gewässern und die Ahndung möglicher Verstösse gegen das Abkommen. «Der Premierminister wird heute Abend klar machen, dass er nichts akzeptieren kann, was unsere Fähigkeit beeinträchtigt, über unsere Gesetze oder unsere Gewässer zu bestimmen», sagte eine Regierungssprecherin in London.

Die EU hoffte jedoch auf Bewegung der britischen Seite. «Im Moment haben wir noch grosse Meinungsunterschiede» bei diesen Punkten, bekräftigte EU-Unterhändler Michel Barnier bei einer Veranstaltung des Ausschusses der Regionen in Brüssel. «Die nächsten Tage werden sehr wichtig werden.» Auf beiden Seiten wurde erwartet, dass Barnier und sein britischer Kollege David Frost noch einmal Verhandlungen aufnehmen müssten – falls auf Chefebene Bewegung oder ein erster Durchbruch erreicht würde.

Grossbritannien hatte die EU Ende Januar verlassen. Ein Vertrag müsste bis zum 31. Dezember stehen, dann läuft die Brexit-Übergangsphase aus. Ohne Vertrag drohen zum Jahreswechsel Zölle, lange Grenzstaus und andere Handelshürden.

Wie können sich die Banken ausserhalb der EU den Zugang zur Kundschaft innerhalb der Union sichern?

Natürlich wird es nicht mehr möglich sein, aus London heraus die ganze EU zu bedienen. Deshalb haben viele Banken bereits im Vorfeld weitere Tochtergesellschaften überall in Europa gegründet. Von dort aus können sie den Rest der EU bedienen.

Welche Städte profitierten besonders?

Am Anfang war noch erwartet worden, dass sich irgendwo ein «zweites London» bilden könnte, wenn sich alle Finanzinstitute für die gleiche Stadt entscheiden würden. Doch es hat sich relativ stark verteilt. So profitiert wohl Dublin am meisten, gefolgt von Frankfurt und Paris. Aber auch viele andere Finanzplätze wie Luxemburg und Zürich haben einen leichten Zuzug erlebt.

Eine Konkurrenz zu London gibt es also nicht?

Nein, das sehe ich nicht. Qualitative Unterschiede zwischen vor und nach dem Brexit sind nicht abzusehen. In Frankfurt mit rund 65'000 Personen im Finanzsektor sind bisher weniger als 2000 Leute aus London angekommen. Dagegen steht zum Vergleich der Londoner Finanzsektor mit rund 700'000 Leuten.

Warum kann sich der Finanzplatz London trotz Brexit behaupten?

London ist ohnehin schon gross, und viele haben sich dort gut eingerichtet. Es sind die «Fühlungsvorteile», also die Vorteile für Banker, wenn sie in der Nähe zu anderen Bankern sind: Sie können mehrfach und ohne Kosten den Arbeitsplatz wechseln, ohne umziehen zu müssen. Die Kinder können an den Schulen und in gewohnter Umgebung bleiben. Wichtig ist auch die Kommunikation, denn viele Gespräche über komplizierte Finanzprodukte, Verträge und Verhandlungen können sehr schnell und von Angesicht zu Angesicht realisiert werden.

London ist ohnehin schon gross, und viele haben sich dort gut eingerichtet.

Was heisst das für die EU, wenn der grösste Finanzplatz nicht mehr unter europäischer Aufsicht steht?

Es stellt sich die Frage, ob es da besondere Risiken gibt. Das ist im Moment sicher nicht der Fall. Denn die Regulierung ist für alle noch ähnlich. Tun wird sich hier wohl nicht viel, und die Behörden haben ein Auge darauf. Bereits bisher haben zudem eher die Engländer das Regulierungsmodell bestimmt und die anderen passten sich an. Da sehe ich keine grossen Veränderungen und Gefahren auf Europa zukommen.

Das Gespräch führte Simone Hulliger.

Echo der Zeit, 09.12.2020, 18:00 Uhr ; 

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