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«Tor der Tränen»: die unbekannte Fluchtroute am Horn von Afrika
Aus SRF 4 News aktuell vom 06.12.2022. Bild: Keystone
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Fluchtroute am Horn von Afrika Durch das «Tor der Tränen» in den kriegsgeschüttelten Jemen

Alle wollen nach Europa? Von wegen: Viele Ostafrikaner flüchten auf die Arabische Halbinsel – und riskieren ihr Leben.

100 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht, schätzt die UNO. Eine hierzulande weitgehend unbekannte Fluchtroute befindet sich in Ostafrika: Zehntausende versuchen, das Meer dort, wo es zur Arabischen Halbinsel am schmalsten ist, zu überqueren.

ARD-Afrikakorrespondent Norbert Hahn ist nach Dschibuti gereist, wo die Flüchtenden die Boote besteigen. Dort hat er mit den Menschen gesprochen und sie gefragt, was sie sich vom Leben auf der anderen Seite der Meerenge erhoffen. Die einhellige Antwort: «Arbeit».

Der Perspektivlosigkeit entfliehen

Oft stünden die Menschen lediglich mit einem T-Shirt und einem Paar Schuhen am Strand, berichtet der deutsche Journalist. «Arbeit steht für sie nicht nur dafür, etwas auf dem Teller zu haben. Es bedeutet auch, dass man eine gewisse Bedeutung hat im Leben, für die Familie und Freunde.»

Migranten warten auf die Überfahrt in den Jemen, 2019.
Legende: Bis Mitte des Jahres sind laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) mehr als 25'000 Menschen aus Ostafrika auf die Arabische Halbinsel geflohen. Fast so viele wie im gesamten Jahr davor. Keystone/AP/Nariman El-Mofty (Archiv)

Viele der Migrantinnen und Migranten stammen aus Äthiopien, in dem verbreitet Armut herrscht und wo seit zwei Jahren in der Provinz Tigray ein Krieg tobt. Andere kommen aus den Nachbarländern Dschibutis.

Schlepper verteilen die Menschen auf Fischerboote, um das Bab al-Mandab zu überqueren, das «Tor der Tränen» – eine 27 Kilometer breite Meerenge zwischen dem Horn von Afrika und der Arabischen Halbinsel. Auf der anderen Seite wartet der Jemen – und damit der Krieg.

Dies ist vielen aber nicht bewusst. Oder es hindert sie schlicht nicht an der Flucht. «Sie gehen nicht ins Internet und informieren sich über die Lage im Jemen. Sie haben nicht diesen Weitblick, diesen Weltblick», erklärt Hahn. «Sie sehen aber, was ohne die Flucht vor ihnen liegt – und das ist ein Leben, das für nichts reicht.»

«Krieg? Irgendwie ist doch überall Krieg»

Der ARD-Korrespondent schildert eine eindrückliche Begegnung mit einem jungen Mann, der auf die Überfahrt in den Jemen wartete. «Ich fragte ihn, ob er denn nicht wüsste, dass dort Krieg herrscht.» Seine Antwort: «Krieg? Irgendwie ist doch überall Krieg.»

Diese fatalistische Sicht der Dinge sei weit verbreitet bei den jungen Menschen in dieser Weltregion: Sie kennen Armut, Perspektivlosigkeit und Krieg aus ihren Heimatländern. Der Jemen ist für sie kein verbotenes Land, sondern eine Durchgangsstation auf dem Weg in ein besseres Leben. Denn die meisten der Migrantinnen und Migranten wollen nach Saudi-Arabien.

«Diese Reise führt hunderte Kilometer durch Wüste und Steppe und kann sehr gefährlich sein», schildert Hahn. Auch der Grenzübertritt nach Saudi-Arabien ist lebensgefährlich. «Denn die saudischen Grenzwächter schiessen scharf: Mit denjenigen, die nicht anhalten oder nicht zurückgeschickt werden wollen, gibt es kein Mitleid.»

Gestrandet in der Kriegshölle

Manchen geht nach erfolglosen Versuchen, nach Saudi-Arabien zu gelangen, das Geld für Schlepper aus. Wer nicht wieder zurück in seine Heimat will, strandet im Jemen. «Der landet dann unter der Brücke, würde man in Europa sagen. Er muss sich irgendwie durchschlagen.»

Zudem gibt es Berichte über Migrantinnen und Migranten, die als Geiseln genommen werden und erst freikommen, wenn ihre Familie ein Lösegeld zahlt. «Tut sie das nicht, wird die Person ermordet», sagt Hahn.

Migrantin aus dem Jemen
Legende: Diese Frau schaffte es 2019 von Äthiopien in ein Spital im Jemen. Sie war bereits in Dschibuti von Schleppern geschlagen und festgehalten worden. Erst nach einer Lösegeldzahlung durch ihre Familie kam sie frei. Keystone/AP/Nariman El-Mofty (Archiv)

Die Fluchtbewegung am Horn von Afrika vollzieht sich weitgehend unter dem Radar der Weltöffentlichkeit. Am Ende bleibt für den Korrespondenten eine Erkenntnis: «Die Menschen wollen einfach leben, so wie wir auch.» Und längst nicht alle wollen dafür nach Europa kommen.

SRF 4 News, 06.12.2022, 06:50 Uhr ; 

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