In der Nähe der texanischen Stadt San Antonio sind Anfang Woche mindestens 50 tote Migrantinnen und Migranten in einem Lastwagen gefunden worden. Mindestens 22 der Todesopfer stammen aus Mexiko. Das ruft südlich der US-amerikanischen Grenze grosse Bestürzung hervor.
Gerade in ärmeren Regionen Mexikos würden die Menschen versuchen, Kontakt zu ihren Verwandten herzustellen, die unterwegs sind. «Sie wollen herausfinden, ob ihre Angehörigen unter den Opfern sind», sagt die freie Lateinamerika-Korrespondentin Sandra Weiss.
Solche Tragödien an der US-mexikanischen Grenze kommen immer wieder vor. «Aber in den vergangenen Jahren stammten die Opfer fast hauptsächlich aus Mittelamerika oder der Karibik. Das Unglück hat nun gezeigt, dass die Migration aus Mexiko wieder stark zunimmt.»
Als Gründe für die zunehmende Migration aus Mexiko nennt Sandra Weiss die Pandemie und wirtschaftliche Probleme. Die Wirtschaft habe schon vor der Corona-Pandemie in einer Rezession gesteckt. «Der Konsum hat nicht wieder so angezogen wie vor der Pandemie.»
Das habe dazu geführt, dass viele Menschen ihren Arbeitsplatz verloren hätten. Jene in der informellen Wirtschaft verkauften nicht mehr so viel wie früher. Und auch die Nahrungsmittellage sei drastisch. «Die sehr hohe Inflation führt dazu, dass die Allerärmsten sich sehr viele Lebensmittel nicht mehr leisten können», beschreibt Weiss die Lage, «und da geht es wirklich um Mangelernährung und um Hunger.»
Hinzu kommt der Klimawandel: Das Klimaphänomen «La Niña» führt zu grossen Dürren in Mexiko und Mittelamerika. Viele Bauern verlieren ihre Lebensgrundlage. «Ihre Ernten verdorren auf den Feldern.»
Eine soziale Abfederung gibt es in Lateinamerika nicht. «Und da ist die Lösung oder ein Ausweg, den die Mexikaner traditionell suchen, der Weg in die USA», so die freie Korrespondentin.
Nicht nur die wirtschaftliche Situation gibt Anlass zur Flucht. Auch die Sicherheitssituation in Mexiko ist ein Grund. «Mittelamerika hat ein enormes Rechtsstaatsproblem und ein enormes Problem mit der organisierten Kriminalität. Die kriminellen Banden beherrschen grosse Teile dieser Länder.» Es gebe Stadtviertel, wo Schutzgeld erpresst werde und wo Entführungen gegen Lösegeld stattfinden würden. «Das treibt sehr viele Menschen in die Flucht.»
Die USA haben immer wieder versucht, die Zahl der Menschen, die illegal in das Land einwandern, zu begrenzen. Es gibt deswegen auch sehr viel Kritik an Bidens Politik an der Südgrenze. Er habe das Problem nach wie vor nicht im Griff, sagen Kritikerinnen. Und auch Weiss sagt dazu: «Biden steckt in einer ziemlichen Klemme.»
Denn im Wahlkampf hatte er eine humanere Migrationspolitik versprochen. «Aber de facto führt er praktisch die Politik von Donald Trump weiter; mit einigen kleineren, eher kosmetischen Verbesserungen.»
Das ruft bei einem Teil der demokratischen Anhänger und vor allem bei Menschenrechtsorganisationen und Aktivistinnen heftige Kritik hervor. «Aber Biden weiss auch, dass man Wahlen in den USA mit einer harten Hand gegen Migranten gewinnt. Und gerade so kurz vor den Midterm-Parlamentswahlen will er den Republikanern natürlich keine Breitseite bieten.» Gerade, weil die Südstaaten bei Wahlen in den USA sehr wichtige Schlüsselstaaten sind.