«Ein Land ohne sichere Grenze ist kein Land!» Kevin McCarthy sprach den Satz nicht einfach aus. Er spie ihn förmlich in den heissen Wüstensand. McCarthy, der Minderheitsführer der Republikaner im Repräsentantenhaus, hat sich martialisch vor einem gepanzerten Fahrzeug aufgebaut. Direkt an der US-amerikanischen Grenze zu Mexiko tut er das, was er am liebsten tut: seiner Abscheu über alles, was aus diesem Weissen Haus von Präsident Joe Biden kommt, Ausdruck zu verleihen.
Und die Republikaner tun dies geschickt. Sie wissen, dass das Thema Migration bei einer Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikanern eines der emotionalsten Themen ist, gleich nach der rekordhohen Inflation und neben der Angst vor steigenden Kriminalitätsraten.
Covid ermöglichte bürokratischen Trick
Allein in Bidens erstem Amtsjahr als Präsident haben die US-Behörden an der Grenze zu Mexiko knapp zwei Millionen Migranten festgenommen. Und die Zahl steigt und steigt. Nun will die Regierung im Verlaufe des kommenden Monats auch noch eine Sonderregelung aus der Ära Trump aufheben. Diese Regelung hatte es den USA während der letzten zwei Jahre ermöglicht, Migrantinnen und Migranten ohne grössere Formalitäten sofort wieder nach Mexiko abschieben zu können.
Diese «Title 42» genannte Sonderregelung hatte der damalige Präsident Donald Trump zu Beginn der Corona-Pandemie in Kraft gesetzt, um die US-Grenze unter dem Verweis auf gesundheitliche Notwendigkeiten abzuriegeln.
Keine funktionierende Migrationspolitik
Doch die Pandemie wird in den USA wie in vielen anderen Ländern nicht mehr als vordringliche Gefahr betrachtet. Unter Druck der Republikaner und republikanischer Richter werden reihenweise Covid-Schutzmassnahmen kassiert.
Und so gab die US-Gesundheitsbehörde bekannt, dass auch die Sonderregelung «Title 42» ab dem 23. Mai nicht mehr zur formlosen Ausweisung von Migrantinnen und Migranten angewandt werden könne.
Für Bidens politische Gegner ist dies ein Geschenk, zumal in der aufgeheizten Stimmung eines Zwischenwahljahrs. Da kann Bidens Sprecherin Psaki lange darauf hinweisen, dass der «Title 42» eine gesundheitspolitische Massnahme und kein migrationspolitisches Instrument sei.
Und sie kann lange betonen, dass das Weisse Haus der Meinung sei, dass «unser Immigrationssystem kaputt ist, und es schon lange hätte repariert werden sollen». Die USA haben keine funktionierende Migrationspolitik, und das Weisse Haus unter Biden hat offensichtlich auch keine Idee.
Auch Demokraten gegen Biden
So fällt es den Republikanern leicht, den von ihnen verachteten Präsidenten anzugreifen. «Wenn Präsident Biden den ‹Title 42› abschafft, dann wird das alles noch viel schlimmer hier.» An der Grenze zu Mexiko weiss McCarthy, welche Sprache bei seinem Publikum ankommt.
«Es wird dann nicht nur untragbar sein, es wird unkontrollierbar sein.» Eine Befürchtung, die auch manche Demokraten teilen. Der notorische Senator Joe Manchin etwa sprach sich genauso gegen eine baldige Aufhebung der Sonderregelung «Title 42» aus wie andere demokratische Senatorinnen und Senatoren, die sich im Herbst einer Wiederwahl stellen müssen. Selbst die Regierung Biden geht von einem massiven Anstieg der Migrantinnen und Migranten nach dem 23. Mai aus, sollte «Title 42» tatsächlich aufgehoben werden.
Doch eine sachliche Diskussion, wie eine menschenwürdige Migrationspolitik aussehen könnte, die gleichzeitig die Grenzen schützen würde, ist in dem aufgeladenen politischen Klima der USA derzeit kaum möglich.