Am 20. Januar 2021 atmeten in Washington die Menschen fast hörbar auf – am klirrend kalten Wintertag, als Donald Trump die Stadt verliess. Der linke Senator Bernie Sanders erschien zur Amtseinführung von Joe Biden mit Woll-Fäustlingen.
Geduldig sass er auf den Treppen des Kapitols, dort, wo nur zwei Wochen vorher fanatische Trump-Fans die Stufen hochgestürmt waren. Joe Biden versprach, das Land aus der Dunkelheit herauszuholen, die Pandemie zu besiegen, die Wirtschaft anzukurbeln und die Demokratie zu retten. Applaus, Freudentränen.
Jetzt herrscht der Blues
Ein Jahr später herrscht unter den Demokraten der Blues. Gerade noch 42 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner sind mit der Amtsführung von Joe Biden zufrieden. Der Beliebtheitsknick erfolgte letzten Sommer, als die US-Truppen Afghanistan verliessen und die Delta-Variante des Coronavirus sich ausbreitete. Seither verharren die Zahlen auf tiefem Niveau.
Das bedeutet wenig Gutes für die Demokraten in den diesjährigen Zwischenwahlen, denn die Umfragewerte des Präsidenten sind ein Hauptkriterium für Sieg oder Niederlage der Regierungspartei. «Ich glaube nicht an Umfragen», sagte Biden am Mittwoch an der Medienkonferenz zum ersten Amtsjahr. Doch das kann die demokratischen Gemüter wohl kaum beruhigen.
Was ist schiefgelaufen?
Demokratische Polit-Beraterinnen und -berater argumentieren gerne mit höherer Gewalt. Omikron sei in einem dummen Moment gekommen. Die neue Pandemiewelle habe die Inflation befördert.
Wegen der dünnen Mehrheit der Demokraten im US-Kongress steckten viele Reformen fest. Ausgerechnet zum Jahrestag der Amtseinführung von Joe Biden ist die für die Demokraten wichtige Wahlrechtsreform gescheitert.
Zwei Demokraten weigerten sich, die Filibuster-Regel aufzuheben und stimmten mit den Republikanern dagegen. Angesichts der Niederlagen geht ganz vergessen, dass Joe Biden durchaus Erfolge vorzuweisen hat. So hat er zwei historische Ausgabenpakete durch den Kongress gebracht, die Covid-Hilfe und die Infrastruktursanierung.
Flügelkämpfe der Demokraten
Doch das ist in der hochgetakteten Politwelt schon einige Zeit her, und seither knirscht es im demokratischen Getriebe. Das soziale «Build-Back-Better»-Ausgabenpaket von Biden steckt seit Monaten im Senat fest. Statt dieses Kernstück des Präsidenten durchzubringen, tragen die Demokraten erbitterte Flügelkämpfe aus.
Und immer wieder gerät der Präsident ins Schussfeld. Mal fallen ihm die Linken auf MSNBC in den Rücken, mal Joe Manchin auf Fox News. Joe Biden will es allen recht machen und verärgert schliesslich jeden. Das ist nicht die einigende Rolle, die er sich am Anfang seiner Amtszeit erhofft hat.
Wenn die Demokraten nicht bald zusammenrücken, verlieren sie die Mehrheit im Repräsentantenhaus und bedrohen die Präsidentschaft Bidens. Die Medien stürzen sich auf die streitenden Demokraten, die Republikaner schauen händereibend zu.