In den USA wird durch die Beschlüsse von Präsident Biden mehr Druck auf Ungeimpfte ausgeübt. Bundesangestellte sowie die Mehrheit des Gesundheitspersonals müssen sich impfen lassen. Zudem sollen Angestellte von Firmen mit mindestens 100 Mitarbeitenden sich entweder impfen oder wöchentlich testen lassen. Das betrifft rund 80 Millionen Beschäftigte. Claudia Brühwiler, Politologin und USA-Kennerin an der Universität St. Gallen sagt, wie die neuen Regeln in den USA aufgefasst werden.
SRF News: Wie kommen die neuen Regeln an?
Claudia Brühwiler: Auf demokratischer Seite sagen viele, sie hätten sich gewünscht, dass man schon viel früher die Gangart verschärft und auf ein Obligatorium gesetzt hätte. Wenn man sich auf republikanischer Seite umhört, klingt es anders. Da wird von Tyrannei und einem Präsidenten, der seine Macht überschreite, gesprochen. Dass Unternehmen ab 100 Mitarbeitern entweder ihre Mitarbeiter regelmässig testen lassen müssen oder dass sich die Mitarbeiter impfen lassen, ist der umstrittene Teil seiner Massnahmen.
Gibt es Widerstand gegen diese neuen Regeln?
Widerstand kommt vor allem aus dem republikanischen Lager von Gouverneuren in Staaten wie Arizona, Indiana oder Texas. Auch die Nationale Vereinigung der Republikaner, der RNC, hat bereits angekündigt, dagegen vorgehen zu wollen. Es ist von Klagen die Rede, wobei umstritten ist, ob Staaten selbst klagen können, da es sich um eine Massnahme handelt, die sich auf Unternehmen ausrichtet.
Viele sagen, dass Biden wortbrüchig geworden sei und dass er das Land nicht eine, sondern zusätzlich spalte.
54 Prozent der US-Amerikanerinnen und -Amerikaner sind geimpft. Geht Biden mit den neuen Massnahmen gegen Ungeimpfte ein Risiko ein?
Er geht vor allem ein Risiko ein bei jenen, die seinem Kurs in der Pandemie skeptisch gegenüberstehen. Aber er hat sich auch selbst widersprochen: Zu Beginn seiner Präsidentschaft hat er davon gesprochen, dass er kein Impfobligatorium möchte, sondern dass er auf Dialog setzen will. Und nun sagen viele, dass er wortbrüchig geworden sei und dass er das Land nicht eine, sondern zusätzlich spalte.
Verläuft dieser Konflikt beim Impfen entlang der Parteigrenzen?
Er wird vor allem entlang der Parteigrenzen ausgenutzt. Viele sprechen davon, dass Impfen zu einem neuen Kulturkampfthema hochstilisiert wird und es da auch Widersprüche gibt. Einer ist zum Beispiel, dass Gouverneure von Staaten, die strenge Vorschriften haben, darüber sprechen, wie lebensrettend die Impfung sei und dass sie ihre Bevölkerung auffordern, sich impfen zu lassen. Sie wettern aber, wenn es um ein Obligatorium geht und sprechen von Tyrannei. Manche Demokraten sagen, das sei heuchlerisch.
Plötzlich steht Biden da wie ein ungeduldiger Vater, der sich das Treiben nicht mehr länger bieten lassen möchte.
Biden trat an, um das zerrissene Land wieder zu vereinen. Jetzt zeigt er sich beim Impfen kompromisslos. Wendet er sich damit von seinem ursprünglichen Plan ab?
Die Frage ist: Wie kompromisslos ist das tatsächlich? Es ist kein allgemeines Obligatorium, sondern die Regeln sind schon differenzierter. Ob Biden die Kompetenz hat, ein solches de facto Obligatorium für Unternehmen auszusprechen, damit werden sich noch Gerichte auseinandersetzen müssen. Man kann sich fragen, ob nicht der Bruch im Ton zu abrupt war. Zu Beginn hatte er einen versöhnlichen, hoffnungsfrohen und optimistischen Ton, er vertraute auf die Selbstverantwortung der Menschen. Und plötzlich steht er da wie ein ungeduldiger Vater, der sich dieses Treiben nicht mehr länger bieten lassen möchte. Diese Kritik muss er sich gefallen lassen. Doch er wird hier vor allem die Wirtschaftsdaten und die Wahlen vom nächsten Jahr im Blick haben.
Das Gespräch führte Claudia Weber.