Die Anzeichen verdichten sich, dass eine russische Flugabwehrrakete für den Absturz des Passagierflugzeugs in Kasachstan verantwortlich sein könnte. Auch die Regierung in Aserbaidschan führt den Absturz laut Berichten mehrerer Medien und Nachrichtenagenturen auf den Einsatz russischer Waffen zurück. Bestätigt haben dies bislang aber weder aserbaidschanische noch kasachische oder russische Behörden. Luftfahrtexperte Heinrich Grossbongardt ordnet ein.
SRF News: Zunächst hiess es von Azerbaijan Airlines, der Absturz sei durch einen Vogelschwarm ausgelöst worden. Für wie plausibel halten Sie diese Erklärung?
Heinrich Grossbongardt: Für einen Absturz durch einen Vogelschwarm gibt es keine ernst zu nehmenden Hinweise. Wenn ein Flugzeug in einen Vogelschwarm fliegt, dann fallen die Triebwerke aus und es entstehen allenfalls leichte Schäden an den Tragflächen. Doch ansonsten bleibt das Flugzeug steuerbar. Wir haben das gesehen, als vor einigen Jahren ein Airbus A320 in New York auf dem Hudson River landen musste. Dass es aber Löcher im Heckbereich gibt und die Steuerung ausfällt, kann durch einen Vogelschwarm nicht passieren.
Welche Absturzursache halten Sie für wahrscheinlich?
Alles deutet derzeit darauf hin, dass in der Nähe des Hecks eine Flugabwehrrakete explodiert ist. Denn man sieht nicht nur Eintrittslöcher, sondern auch Austrittslöcher – wo also die Flugzeugaussenhaut, respektive die Ränder der Löcher, nach aussen gebogen sind. Das heisst, da ist etwas durch das Flugzeug hindurchgeflogen. Es gibt eine Vielzahl von kleinen Löchern im Wrack. Dadurch ist offenbar die Flugsteuerung oder das Hydrauliksystem beschädigt worden, sodass die Maschine nicht mehr steuerbar war.
Wie sicher sind Sie sich mit dieser Aussage?
Insbesondere die Löcher im Bereich des Hecks lassen nur den Schluss zu, dass in der Nähe des Flugzeugs eine Flugabwehrrakete explodiert ist, die dann das Flugzeug beschädigt hat, sodass es nicht mehr steuerbar war. Anders lassen sich diese Schäden nicht erklären.
Gibt die Blackbox in jedem Fall Hinweise auf die Absturzursache?
Die Blackbox ist nur eine von vielen Informationsquellen, allerdings eine wichtige. Denn es gibt natürlich die Aufzeichnung der technischen Systeme, etwa zum Flugweg und der Frage, welche Kräfte auf das Flugzeug eingewirkt haben. Es gibt aber auch den Funkverkehr und es gibt die Gespräche und Töne aus dem Cockpit. Das alles wird zusammen mit den Spuren am Wrack ein relativ klares Bild vermitteln.
Nach Angaben des Internetportal caliber.az in Baku baten die Piloten um eine Notlandung auf einem russischen Flughafen. Dies sei nicht genehmigt worden, sodass das Flugzeug Richtung Kasachstan geflogen ist. Was sagen Sie dazu?
Die aserbaidschanischen Behörden wissen aus dem Funkverkehr offenbar, dass eine Notlandung verweigert worden ist. Abgesehen von den humanitären Aspekten wäre das ein klarer Verstoss gegen das Luftfahrtgesetz, das alle Staaten dazu verpflichtet, in Notlage Hilfe zu leisten.
Das Gespräch führte Maya Janik.