Frieden in Nahost schien schon vor dem Terrorangriff der Hamas auf Israel ein unrealistisches Ziel. Nun ist dieses wohl noch weiter in die Ferne gerückt. Verhandlungen sind derzeit ausgeschlossen. Friedensforscherin Ursula Schröder spricht darüber, was es auf dem Weg zum Frieden bräuchte und wie realistisch dieser ist.
SRF News: Ganz allgemein – was ist eigentlich Frieden?
Ursula Schröder: Frieden ist für mich etwas, was verbindet. Ein Prozess abnehmender Gewalt, also weniger Gewaltereignisse im Krieg, zusammengenommen mit einer Verbesserung der Gerechtigkeit einer Gesellschaft. Das heisst, dass wir Frieden grösser denken als nur Abwesenheit von Krieg. Es ist auch eine Zunahme von sozialer Gerechtigkeit und von Zusammenhalt in Gesellschaften.
Kann auch Krieg Teil von Frieden sein?
Militärische Gewalt kann leider Teil von späteren Friedenslösungen werden. Es geht bei Konflikten immer darum, sie möglichst mit zivilen Mitteln auszutragen. Wenn ein Konflikt bereits hoch eskaliert ist und gewaltsam ausgetragen wird, kann militärische Gewalt unter Umständen notwendig sein, um die Gegengewalt einzuhegen.
Am Anfang der jüngsten Eskalation stand das barbarische Morden der Hamas in Israel. Nun stehen hauptsächlich die Angriffe Israels auf den Gazastreifen im Fokus vieler. In der Wahrnehmung ist nicht ganz klar, wer Opfer ist und wer Täter. Wie problematisch ist das?
Das ist für Israel eine sehr unangenehme Position. Denn Israel hat ein Recht zur Selbstverteidigung. Und das Land muss sehen, wie es mit dem massiven Problem einer gewalttätigen Organisation innerhalb seines Territoriums weiter umgehen kann. Das wird sicherlich nicht durch eine militärische Vernichtungsstrategie funktionieren.
Frieden steht im Nahen Osten momentan nicht auf der Tagesordnung.
Israel muss andere Wege finden, um zu kommunizieren, was sie dort tun und wo die Grenzen liegen. Momentan werden in der Öffentlichkeit eher die Aktionen des Staates Israel als problematisch wahrgenommen, als die Aktionen eines massiven terroristischen Angriffs gegen dieses Land.
Was wären andere Wege?
In der Zukunft auf den politischen Kern dieses Konflikts und jetzt Krieges einzugehen – die Anerkennung der palästinensischen Rechte auf einen eigenen Staat. Das wird aber nicht mit den jeweiligen jetzt regierenden Personen auf der palästinensischen und der israelischen Seite gehen.
Es wäre gut, nicht an einer einzelnen Lösung festzuhalten.
Sehr weit in die Zukunft gedacht, könnte man Verhandlungspartner durch Wahlen etablieren, die eine politische Lösung in der ungelösten Territorialfrage herbeiführen wollen.
Glauben Sie daran, dass Frieden in Nahost möglich ist?
Frieden steht im Nahen Osten momentan nicht auf der Tagesordnung. Es geht eher darum, Statusverhandlungen, Koexistenzen zwischen Entitäten festzulegen. Für mich ist Frieden notwendig als Horizont, aber in den nächsten Jahren vermutlich nicht handlungsleitend.
Wie genau würde Frieden in Nahost aussehen?
Die Zweistaatenlösung ist eine Möglichkeit. Es kann sich aber auch noch eine andere Möglichkeit entwickeln: eine Konföderation zwischen zwei Staaten oder eine Föderation wie im Rahmen der Europäischen Union. Es wäre gut, nicht an einer einzelnen Lösung festzuhalten. Sondern einmal breiter aufzumachen und zu überlegen, welche Spielarten einer Zweistaatenlösung denn infrage kommen könnten.
Das Gespräch führte Brigitte Kramer.