Naturkatastrophen, Staatsstreiche, Armut: Die Situation in Haiti ist seit Jahrzehnten prekär. Nach der Ermordung des Präsidenten Jovenel Moïse vor drei Jahren verschärfte sich auch die Sicherheitslage drastisch: Kriminelle Banden übernahmen die Kontrolle und terrorisieren bis heute die Menschen im krisengeplagten Karibikstaat.
Im Auftrag des UNO-Sicherheitsrats sind seit Anfang Sommer kenianische Polizeikräfte in Haiti aktiv, um die Gewalt in den Griff zu bekommen. Aber können solche Missionen etwas bewirken in einem Land, in dem Chaos und Anarchie herrschen? Ja, sagt Corinne Bara vom Center for Security Studies der Universität Zürich: «Gerade UNO-Friedensmissionen, also die bekannten Blauhelme, sind erstaunlich wirksam.»
Effektiv sind sie aber nicht durch schiere Militärgewalt. Zahlenmässig sind die Missionen beschränkt und oft rekrutieren sie sich auch nicht aus Truppen, die besonders gut organisiert oder schlagkräftig sind. «Ihre Präsenz hat aber bereits eine abschreckende Wirkung», schätzt Bara. «Und wenn die UNO zuschaut, wird auch über Gräueltaten berichtet.»
In Haiti sind die Gangs zum Machtfaktor geworden und haben auch die Sicherheitskräfte infiltriert. «Unabhängige Truppen, die nicht Teil der lokalen Verstrickungen sind, können hier ein Vorteil sein», sagt Bara. Generell können UNO-Friedensmissionen also zur Beruhigung der Lage in Konfliktregionen beitragen.
Die Afrika-Korrespondentin Bettina Rühl stellt der kenianischen Polizei allerdings kein gutes Zeugnis aus. «Mein Eindruck ist sehr negativ», so die Journalistin, die in Kenias Hauptstadt Nairobi lebt. «Bekannte und Freunde berichten mir immer wieder von Korruption, die das ganze System zu durchziehen scheint.»
Brutale Niederschlagung von Protesten
Ein Beispiel: Im Land sei es üblich, dass Polizisten an Strassensperren eine Art Wegzoll von Kleinbussen und Taxis verlangten. Die kenianische Polizei ist auch für ihre Brutalität berüchtigt. Zuletzt griffen Sicherheitskräfte heftig gegen die Proteste der «Gen Z» durch, bei der junge Demonstrierende gegen die Steuerpläne der Regierung aufbegehrten. Bei diesen Einsätzen sollen sie auch Menschen entführt haben.
«Und schon während der Coronapandemie wurden Leute auf der Strasse von der Polizei getötet und teils erschlagen, die die strikten Ausgangssperren nicht einhielten», sagt Rühl.
Auf der Internetseite «Missing Voices» dokumentieren Menschenrechtsaktivisten die Fälle aussergerichtlicher Tötungen und Entführungen durch die kenianische Polizei. Demnach wurden seit 2019 1350 Menschen getötet, 350 sind spurlos verschwunden.
«Die hiesige Bevölkerung war sehr verblüfft über das Angebot von Präsident William Ruto, kenianische Polizisten nach Haiti zu entsenden», sagt Rühl. Sie bezweifelt denn auch, dass die Sicherheitskräfte die Bandengewalt in Haiti nachhaltig eindämmen können.
Wie die Sicherheitslage im Karibikstaat derzeit ist, ist schwierig einzuschätzen. ETH-Forscherin Bara sieht erste positive Entwicklungen. In der Hauptstadt sei die Gewalt bereits etwas zurückgegangen und die Menschen könnten sich wieder freier bewegen. Die Gangs hätten sich teils in die Aussenbezirke zurückgezogen.
Afrika-Korrespondentin Rühl hält Berichte, wonach die kenianische Präsenz in Haiti bereits Wirkung entfaltet, aber für geschönt. «Der Erfolg dieser Mission ist bisher sehr bescheiden.»