Das Militär in der Türkei hat neue Angriffe gegen die kurdische Arbeiterpartei PKK gestartet. Das Ziel sind Stützpunkte im Nordirak. Warum die Türkei dies gerade jetzt tut und wie die Regierung im Nordirak darauf reagiert, erklärt Thomas Seibert, freier Journalist in der Türkei.
SRF News: Warum erfolgt gerade jetzt eine Offensive gegen die PKK?
Thomas Seibert: Das hat viel mit der Jahreszeit zu tun. Im Frühling starten die Türken gewohnheitsmässig Interventionen im Nordirak gegen die PKK. Dann schmilzt der Schnee und die PKK-Kämpfer, die im Nordirak ihr Hauptquartier unterhalten, können leichter in die Türkei einsickern. Und um das zu verhindern, schlägt die Türkei regelmässig im Nordirak zu. So auch diesmal. Diese Frühjahrsoffensiven gehören also dazu.
Was ist das Ziel dieser türkischen Militäroperation?
Es geht vor allem darum, Nachschubwege der PKK zu zerschlagen; Munitionsdepots, Stellungen, die Infrastruktur, die die PKK im Nordirak aufgebaut hat. Es geht auch darum, die Verbindungswege zwischen den PKK-Gebieten im Nordirak und den kurdischen Gebieten im benachbarten Syrien zu stören. Auch da kämpft ja die Türkei gegen kurdische Milizen. Diese sollen gekappt werden, deshalb erfolgt der Vorstoss gerade jetzt.
Wie reagiert die Regierung im Nordirak auf den Vorstoss?
Der nordirakische Ministerpräsident Masrour Barzani war wenige Tage vor Beginn der Aktion bei Präsident Recep Tayyip Erdogan in Ankara. Da hat man sich offenbar abgesprochen. Die irakische Regierung im Nordirak und die PKK sind sich nicht unbedingt grün. Den nordirakischen Kurden ist es deshalb eigentlich ganz recht, wenn die PKK nicht zu mächtig wird.
Ankara argumentiert, die Türkei habe das Recht zu dieser grenzüberschreitenden Militäraktion.
Die irakische Zentralregierung in Bagdad reagierte – auch das ist inzwischen Routine – mit Protest. Sie hat den türkischen Botschafter einbestellt. Ankara argumentiert, die Türkei habe nach dem Prinzip der sogenannten Nacheile das Recht zu dieser grenzüberschreitenden Militäraktion. Das ist jedenfalls die offizielle Darstellung.
Erdogan bekämpft auch Kurden in Nordsyrien. Wie ist dort die Lage?
Die Türkei hat derzeit mehrere 1000 Soldaten in verschiedenen Gebieten in Nordsyrien stationiert hat. Im Brennpunkt steht die nordwest-syrische Provinz Idlib. Dort haben sich viele Flüchtlinge versammelt, die möglicherweise in die Türkei einwandern könnten, falls es dort eine neue Invasion der syrisch-staatlichen Truppen geben sollte. Die Syrer werden unterstützt von den Russen, die ja inzwischen einen anderen Krieg zu führen haben. Sollten die Russen also Ressourcen aus Syrien abziehen, könnte das der Türkei nützen, weil es den militärischen Druck in Nordsyrien vermindern würde.
Dieses ‹Spiel› von Angriff und Gegenangriff geht auch in diesem Frühjahr weiter.
Die Türkei greift immer wieder kurdische Kräfte an, ein militärischer Sieg scheint derzeit aber unerreichbar. Wäre es für die Türkei nicht besser, eine Lösung am Verhandlungstisch zu finden?
Dafür gibt es im Moment keine politische Unterstützung. Erdogan hatte vor wenigen Jahren einen Verhandlungsprozess geführt, hat dann aber gemerkt, dass ihm die nationalistischen Wähler abspringen. So stoppte er den Verhandlungsprozess wieder. Doch zu solchen Verhandlungen gehören immer zwei. Auch auf Seite der PKK ist derzeit nicht zu sehen, dass man zu Verhandlungen bereit ist. So köchelt dieser Krieg weiter vor sich hin. Er dauert ja schon seit 1984. Die Türkei ist militärisch überlegen, kann die PKK aber letztendlich nicht besiegen. Und deshalb geht dieses ‹Spiel› von Angriff und Gegenangriff auch in diesem Frühjahr weiter.
Das Gespräch führte Vera Deragisch.