Fussball ist die wichtigste Nebensache der Welt – und nebensächlich mutet ein Playoff-Spiel um die Weltmeisterschaft in Katar angesichts des Blutvergiessens in der Ukraine tatsächlich an. Doch ein gewöhnliches Fussballspiel steht heute Abend im Hampden Park in Glasgow nicht an. Denn dort empfängt Schottland die Mannschaft aus der Ukraine.
«Als der Krieg begann, war es schwer, sich auf Fussball zu konzentrieren», gesteht der ukrainische Nationalspieler Alexander Sintschenko im Vorfeld des Spiels. «Aber vielleicht können wir unseren Landsleuten für ein paar Sekunden ein Lächeln schenken», so der Star vom englischen Meister Manchester City.
Das glaubt auch Sportjournalist Ronny Blaschke. «Ein erfolgreiches Nationalteam wäre für die Menschen auch ein Symbol für die Unabhängigkeit – und damit gegen den Aggressor aus Russland.»
Sowjetische Fussballhochburg
Während Russen und Ukrainer sich heute auf dem Schlachtfeld gegenüberstehen, betraten sie zu Sowjetzeiten gemeinsam das Spielfeld. Geografisch lag die Ukraine am Rand der Sowjetunion, im Fussball war sie aber das Zentrum.
«Dynamo Kiew hat 13 Mal die sowjetische Meisterschaft gewonnen, auch die sowjetische Nationalmannschaft bestand lange vor allem aus den stärksten Spielern von Dynamo Kiew», weiss Blaschke.
Moskaus Arm reichte damals weit. Die ukrainische Identität und Sprache wurden zurückgedrängt. Ihnen haftete etwas Subversives an, wie es Blaschke ausdrückt. «Viele Menschen fühlten sich von Russland dominiert, ja sogar diskriminiert. Auf dem Fussballplatz konnte man die ukrainische Identität aber lange Zeit leichter ausdrücken.»
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde die Ukraine ein eigenständiger Staat. Auch einige Spieler hissten 1991 auf dem Maidan die Fahne von Dynamo Kiew neben der blau-gelben Nationalflagge.
Doch es gab auch Auflösungserscheinungen im einstigen Zentrum des sowjetischen Fussballs. Denn zunächst erhielt nur Russland die Erlaubnis, sich für die WM 1994 in den USA zu qualifizieren. «Etliche ukrainisch-sowjetische Fussballer nahmen die russische Staatsbürgerschaft an, weil sie sich höhere Prämien und mehr Erfolg versprachen», erklärt Blaschke. «Sie wurden von vielen Ukrainern als Verräter angesehen.» Dynamo Kiew zerbrach in diesen Jahren, es sollte lange dauern, bis sich der Traditionsklub erholte.
Der Fussball wurde eine Plattform für Konflikt und Krieg.
Auch im Fussball teilten sich die Oligarchen die Konkursmasse des Kommunismus auf. Der heutige Milliardär Grigori Surkis investierte Geld unbekannter Herkunft in Banken, Landwirtschaft und Erdöl – und kaufte Dynamo Kiew. Der Rohstoffmilliardär Rinat Achmetow übernahm 1996 Schachtjor Donezk im Osten des Landes.
2012 organisierte die Ukraine – zusammen mit Polen – die Fussball-Europameisterschaft. «Das Land blühte auf, bei vielen Menschen machte sich ein Gemeinschaftsgefühl breit, auch wenn sich der Konflikt mit Russland bereits abzeichnete», erinnert sich Blaschke. «Es war ein Ausrufezeichen für dem ukrainischen Weg Richtung Europa.»
Die Euphorie verflog bald. «Der Fussball wurde eine Plattform für Konflikt und Krieg», sagt Blaschek. Nach der Annexion der Krim versuchte Russland, die dortigen Klubs in den russischen Fussball einzugliedern. Die Uefa intervenierte.
Heute steht der ukrainische Fussball im Zeichen des Kriegs. Der Spielbetrieb steht seit der russischen Invasion still. Dynamo Kiew trägt Freundschaftsspiele in Europa aus und wirbt für Spenden und Solidarität. Ukrainische Hooligans haben sich Freiwilligen-Bataillonen angeschlossen.