Yardo Ambrosio poliert Weingläser – konzentriert, ja beinahe liebevoll. Sein Reich ist ein Restaurant, das einem Italiener gehört. Es zählt zu den schönsten Lokalitäten in Pemba, der Hauptstadt von Cabo Delgado, der Provinz im Norden Mosambiks. Der Besitzer investierte viel in das historische Gebäude. Die wenigen Zimmer des Hotels sind exklusiv eingerichtet und das Badezimmer wohl etwas vom Schrägsten auf dem ganzen afrikanischen Kontinent.
Doch es steht alles leer. Das betuchte Zielpublikum, Geschäftsleute und Ingenieure, die hier vor einigen Jahren auf das potenzielle Geschäft mit Gas angestossen haben, bleiben aus. «Ich weiss nicht, wie lange ich noch angestellt bleibe. Ohne Einnahmen ist es schwierig, Leute wie mich zu bezahlen. Das macht mir schon Angst», seufzt Ambrosio.
Die reichste und zugleich ärmste Provinz
Ambrosio gehört zu den wenigen Menschen aus der Provinz, die vom Gas-Boom indirekt profitiert haben. Die meisten, das bestätigt er, hatten bis anhin gar nichts davon. Dabei schien vor mehr als zehn Jahren alles so vielversprechend.
Gas im Wert von 60 Milliarden Franken wurde vor der Küste im Norden entdeckt. Eine Art Goldgräberstimmung herrschte. Der amerikanische Öl- und Gasriese Exxonmobil begann, Gas aus dem Ozeanboden zu fördern. Total aus Frankreich und Eni aus Italien schufen eine ganze Wertschöpfungskette, von Wohnungen über Lieferanten und Baufirmen bis eben zu Ambrosio.
Alle mussten sich verpflichten, einen Teil des Gewinnes in Projekte für die Bevölkerung zu investieren. Es gibt auch ein paar Schulen und Ausbildungsmöglichkeiten – doch die Mehrheit der zwei Millionen Menschen in Cabo Delgado ist so arm wie schon immer.
Es ist eine historische Armut, die wie ein Fluch über der Provinz hängt. Beinahe 2000 Kilometer von der Hauptstadt Maputo entfernt, galt Cabo Delgado schon immer als Armenhaus. Beamte sind hierher strafversetzt worden.
Gleichzeitig ist sie eigentlich die wichtigste Provinz. Hier begann der Unabhängigkeitskampf gegen die portugiesische Kolonialmacht, und hier befinden sich die meisten Ressourcen. Nicht nur Gas, sondern auch Rubine, Gold und Holz. Alles von nationalen oder internationalen Firmen geplündert.
Ein neues islamistisches Netzwerk?
2017 tauchte eine vermummte Gruppierung mit Kalaschnikows und einer Fahne, auf der «Allahu Akbar» (Gross ist Gott) stand, quasi aus dem Nichts auf. Sie begann, Terror in Cabo Delgado zu verbreiten, überfiel Dörfer und köpfte Menschen.
Internationale Aufmerksamkeit erhielt sie 2020, als sie Palma, ein Dorf im Norden und das mosambikanische Hauptquartier des französischen Energieunternehmens Total, überfiel. Die Gruppe bezeichnet sich als Al-Shabaab und soll Teil eines islamistischen Netzwerkes sein, das bis in den Kongo und Somalia reicht.
Hizidine Acha ist ein investigativer Fernsehjournalist, der in Cabo Delgado seit 13 Jahren für einen Privatsender berichtet. Er sagt, dass niemand wirklich wisse, was die Gruppe wolle und woher sie stamme: «Ich habe mit vielen Experten gesprochen, auch im Justizsystem. Diese Gruppe ist allen ein Rätsel.»
Klar sei, dass sie viele junge, desillusionierte Männer aus der lokalen Bevölkerung rekrutiere. Denn diese haben langsam genug davon, von der Zentralregierung vernachlässigt zu werden.
Der 42-jährige Journalist hat sich bei der Regierung viele Feinde geschaffen und wurde mehrmals bedroht wegen seiner unerschrockenen Suche nach der Wahrheit. Er berichtete auch mehrmals über die regionalen afrikanischen Truppen, die mithelfen, den Terror zu beenden. Und über die Tatsache, dass es immer noch zu brutalen Überfällen kommt.
«Die Regierung will das vertuschen. Sie möchte demonstrieren, dass hier alles wieder sicher ist, vor allem den internationalen Investoren gegenüber», sagt Acha, nachdem er ein Video abgespielt hat, in dem kopflose Körper unter Bäumen liegen und Männer die dazugehörigen Köpfe in den Händen halten.
«Ich bin auch Muslim, doch meine Waffen sind Bilder und Worte. Ich kämpfe gegen Korruption, gegen die grassierenden Missstände hier im Norden.»
Unterstützung der vertriebenen Bevölkerung
Die Schweizerin Barbara Kruspan kämpft auch, allerdings mit anderen Mitteln. Sie lebt seit 30 Jahren in Pemba und ist seit 2017 Direktorin der Schweizer NGO Solidarmed. Seit dem Auftauchen der bewaffneten Gruppierung bewegt sie sich mit Vorsicht: Gewisse Strecken sind tabu oder können nur im Konvoi befahren werden. Man wisse einfach nie, was passiere.
Während sie in ein Dorf fährt, wo vertriebene Menschen leben, erzählt sie, wie zuvor genau auf der gleichen Strasse uniformierte Männer aus dem Busch gesprungen seien. «Solche Erlebnisse schrecken auch mich auf. Aber unsere Arbeit ist zu wichtig, dass ich deswegen aufhören würde», sagt Kruspan mit Nachdruck.
Die meisten von den Rebellen vertriebenen Menschen wurden von der lokalen Bevölkerung aufgenommen und in die Dörfer integriert. Vordergründig leben sie in einer idyllischen Szenerie. Überall wächst Mais, es ist grün, bizarre Berge erheben sich. Doch so schön es ist, so gross ist die Armut der Menschen.
Trauma-Spirale dreht weiter
In dem Dorf, wo Solidarmed seit Jahren hilft, das marode Gesundheitssystem zu verbessern, leben 3000 Flüchtlinge. Eine von ihnen ist die Hebamme Julietta Fundi. Die 62-Jährige liebt ihren Beruf, für den sie nichts verlangt. Er hilft ihr, das eigene Trauma zeitweise zu vergessen.
Wie die meisten hier flüchtete sie im August 2022 aus ihrem Dorf im Norden, weil es von bewaffneten Männern überfallen wurde. «Sie kamen in der Nacht und jagten mich und mein Enkelkind davon. Nach drei Tagen wagte ich mich zurück. Überall sah ich Tote ohne Köpfe. Da rannte ich weg und kam nach drei Wochen hier an.»
Was Fundi erlebte, haben Zehntausende durchmachen müssen. Die ganze Provinz scheint in einer Spirale von Traumata gefangen, die mit dem Unabhängigkeitskrieg begann, sich mit dem blutigen Bürgerkrieg weiterdrehte und nun einmal mehr eine unglaublich brutale Drehung macht.
Bald mosambikanisches Gas in Europa?
Dass die Tragödie in Cabo Delgado nicht vergessen geht, liegt an den Nichtregierungsorganisationen, die immer wieder auf Missstände aufmerksam machen, unerschrockenen Journalisten und nicht zuletzt an den Gasreserven. Denn an ihnen sind Europa, Asien und Amerika interessiert. Umso mehr, seit Russland die Ukraine angegriffen hat und vor allem Europa nach alternativen Gasquellen sucht.
Die italienische Firma Eni operiert von einer schwimmenden Flüssiggasfabrik aus und hat bereits das erste Schiff mit einer Ladung nach Europa geschickt. Das französische Energieunternehmen Total jedoch stellte seine Aktivitäten wegen der Sicherheitssituation vorerst ein. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis Gas nach Europa kommt. Ob dann endlich auch die Bevölkerung davon profitieren wird, steht auf einem anderen Blatt geschrieben.