An zahlreichen Universitäten in den USA brodelt es: Studentinnen und Studenten protestieren gegen den Gaza-Krieg. Manchen Protestierenden wird Antisemitismus vorgeworfen – und dass sie die militant-islamistische Hamas verharmlosen würden. Auf der anderen Seite fühlen sich jüdische Studierende nicht mehr überall sicher. Inzwischen wurden mehrere hundert Demonstrierende verhaftet. Die USA-Kennerin Claudia Brühwiler zu den Hintergründen.
SRF News: Wie beurteilen Sie das Ausmass der Protestaktionen?
Claudia Brühwiler: Die Proteste sind in den USA derzeit auf jeden Fall sehr sicht- und spürbar. Zwar wurde der Unmut über den Gaza-Krieg seit längerem geäussert, doch jetzt wurde ein permanenter Pflock eingeschlagen, indem man auf verschiedenen Campusanlagen Zelte aufgestellt hat.
Wie kommt es zu so breitem Protest der Studierenden in den USA?
Zunächst: Protestcamps gibt es vor allem an Unis an der Westküste in Kalifornien, an einigen Elite-Unis an der Ostküste sowie an einigen wenigen in Texas oder Tennessee. Doch in vielen Bundesstaaten gibt es keine solchen Aktionen. Protestcamps gibt es vor allem an jenen Unis, an denen schon zuvor viele Studierende im Rahmen des sogenannten BDS-Movements gegen den israelischen Staat agitiert haben. Ziel dieser Bewegung ist es, Israel zum Pariastaat zu erklären, wie das einst mit Südafrika der Fall war.
Für die Universitätsleitungen bedeutet die Situation einen Balanceakt zwischen Antisemitismus- und Gewaltaufrufen sowie Meinungsfreiheit auf der anderen Seite. Wie gehen sie damit um?
Sie gehen unterschiedlich vor – und jede Uni-Leitung wird aus anderen Gründen kritisiert. Das bekannteste Beispiel ist die Columbia-University in New York. Hier sagen die Republikaner, man müsse die Nationalgarde mobilisieren.
Jede Uni-Leitung muss für ihr Vorgehen von irgendeiner Seite Kritik einstecken.
Auf der anderen Seite werfen die Uni-Räte der Rektorin der Columbia vor, sie sei zu weit gegangen, als sie die Polizei rief, um Protestierende zu verhaften. Andere Unis suchen den Dialog zur Vermeidung einer Eskalation – aber jede Uni-Leitung muss für ihr Vorgehen von irgendeiner Seite Kritik einstecken.
Versucht die Politik, die Situation zu instrumentalisieren?
Zum Teil. Vor allem aber kommen bei der älteren Generation Erinnerungen auf an die Zeit des Vietnamkriegs. Im Mai 1970 kam es auf einem Campus in Ohio zu vier Todesfällen, als die Nationalgarde gegen Protestierende einschritt. Daraufhin eskalierte die Situation erst recht, kurze Zeit später protestierten landesweit vier Millionen Studierende. Viele US-Medien erinnern jetzt an damals – und man möchte jene Fehler diesmal vermeiden.
Was ist anders an den derzeitigen Protesten als vor 54 Jahren?
Damals gab es in viel mehr Bundesstaaten Proteste, die Unis wurden blockiert, ebenso mancherorts der Verkehr. Und: Die Studenten damals protestierten aus persönlicher Betroffenheit – etwa, weil ihnen die Zwangsrekrutierung für den Vietnamkrieg drohte und ihnen dieser Krieg als völlig sinnlos erschien. Das ist diesmal anders.
Die Proteste erinnern an jene in den 1980er-Jahren im Zusammenhang mit Südafrika.
Die Proteste jetzt erinnern eher an Proteste in den 1980er-Jahren im Zusammenhang mit dem Apartheidregime in Südafrika. Damals wurde gefordert, die Unis sollten kein Geld mehr in Südafrika investieren. Ähnliches wird jetzt etwa an der Columbia im Zusammenhang mit Israel verlangt.
Bald sind Semesterferien in den USA. Was geschieht dann mit den Protesten?
Man erwartet, dass die Proteste nach den Abschlussfeiern abebben werden. Denn danach verlassen viele Studenten ihren Campus in Richtung Heimat.
Das Gespräch führte Iwan Lieberherr.