Der Krieg in Gaza erschüttert die amerikanischen Elite-Universitäten. An vielen Unis gibt es Pro-Palästina-Proteste und Festnahmen. Besonders die Columbia-Universität steht im medialen Fokus. Der Schweizer Andreas Wimmer ist Professor für Soziologie an der Columbia und berichtet aus erster Hand.
SRF News: Was passiert gerade auf dem Campus?
Andreas Wimmer: Auf dem Campus selbst ist es ruhig. Die protestierenden Studierenden fordern unter anderem, dass sich die Universität finanziell von Israel distanzieren soll oder es werden auch Forderungen wie «Free Palestine» skandiert. Ausserhalb des Universitätsgeländes geht es turbulenter zu. Dort protestieren mehrheitlich Nicht-Studierende, und es werden durchaus auch antisemitische oder Hamas-freundliche Parolen skandiert.
Machen Sie es sich nicht zu einfach, wenn Sie sagen, dass die problematischen Proteste ausserhalb des Universitätsgeländes stattfinden?
Die Proteste auf dem Campus haben internationale Aufmerksamkeit erregt und verschiedene Medien vor die Tore der Universität gelockt. Die Protestierenden vor der Universität sind auf den Zug aufgesprungen und nutzen die Medien für sich. Natürlich gibt es auch einzelne Parolen auf dem Campus, die problematisch sind.
Können sich jüdische Studierende noch sicher fühlen?
Meiner Meinung nach durchaus. Ein Teil der protestierenden Studierenden hat selbst einen jüdischen Hintergrund. Ich halte es für Propaganda, dass es auf dem Universitätsgelände systematischen Antisemitismus gibt und sich jüdische Studierende nicht mehr sicher fühlen können.
Es gibt Kräfte, die ein Interesse daran haben, das Bild eines unkontrollierten Judenhasses an der Columbia-Universität zu zeichnen.
Präsident Biden wie auch der Bürgermeister von New York haben die antisemitischen Vorfälle «auf dem Campus» verurteilt. Liegen sie falsch?
Wenn man sich das Videomaterial genau anschaut, sieht man, dass bis auf wenige Ausnahmen die meisten antisemitischen Vorfälle ausserhalb des Campus stattfinden und dass die Vorstellung, der Campus sei für jüdische Studierende nicht sicher, absurd ist. Die Situation ist stark polarisiert und politisiert. Es gibt Kräfte, die ein Interesse daran haben, das Bild eines unkontrollierten Judenhasses an der Columbia-Universität zu zeichnen. Diese politischen Kampagnen sind Teil des rechten Kulturkampfs gegen die progressiven und woken Eliteuniversitäten.
In den aktuellen Diskussionen geht es nicht wirklich um Studierende oder Antisemitismus, sondern um den grossen Konflikt zwischen progressiven linken Institutionen und konservativen rechten Kräften.
Letzte Woche musste die Präsidentin der Columbia-Universität, Minouche Shafik, vor dem Untersuchungsausschuss des US-Repräsentantenhauses zu Antisemitismusvorwürfen aussagen. Eine ähnliche Anhörung im Dezember hat zum Rücktritt der damaligen Harvard-Präsidentin geführt. Ist Shafik noch tragbar?
Angesichts des Angriffs der Politik auf die Autonomie der Universität tendiere ich dazu, sie zu unterstützen. Im Moment findet in den Staaten ein Kulturkampf statt. In den aktuellen Diskussionen geht es nicht wirklich um Studierende oder Antisemitismus, sondern um den grossen Konflikt zwischen progressiven linken Institutionen und konservativen rechten Kräften. Meiner Meinung nach ist die Anhörung der Präsidentin vor dem Untersuchungsausschuss ein Teil dieses Schaukampfes.
Das Gespräch führte David Karasek, Mitarbeit Géraldine Jäggi