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Judenhass in der Schweiz «Antisemitismus kommt aus der Mitte der Gesellschaft»

In den letzten Monaten haben antisemitische Äusserungen und Übergriffe in der Schweiz stark zugenommen, wie der neuste Antisemitismus-Bericht dokumentiert. Die Historikerin Christina Späti forscht zu Judenhass. Sie sagt: Antisemitismus kommt in der Schweiz aus der Mitte der Gesellschaft.

Christina Späti

Historikerin

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Christina Späti ist Professorin für Zeitgeschichte an der Universität Freiburg und an der FernUni Schweiz. Sie forscht zu Antizionismus und Antisemitismus sowie zum Holocaust und seiner Nachgeschichte. Späti hat zeitweise in Jerusalem gelebt und war Gastwissenschaftlerin am Zentrum für Antisemitismusforschung in Berlin und am Center for Jewish Sutdies an der Harvard-Universität.

SRF News: Seit dem 7. Oktober sind viel mehr antisemitische Vorfälle in der Schweiz registriert worden. Was hat der Hamas-Überfall ausgelöst?

Christina Späti: In der Folge wurde der Nahost-Krieg wieder zu einem medialen Ereignis. Solche Trigger-Ereignisse führen immer wieder zu einem Anstieg des Antisemitismus. Es gibt dann mehr Gelegenheit, sich antisemitisch zu äussern. Ausserdem schauen es manche Leute als erlaubt an, sich antisemitisch zu äussern, auch wenn sie das sonst nicht tun würden.

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Wie erleben Sie die aktuelle Diskussion um Antisemitismus in der Schweiz?

Die Diskussion läuft oft am eigentlichen Punkt vorbei. Es geht meist eher um eine politische Instrumentalisierung des Antisemitismus-Vorwurfs. Beide politischen Seiten werfen der anderen vor, antisemitisch zu sein, streiten dies für sich selber aber ab. Statt einer vertieften Beschäftigung mit dem Thema Antisemitismus – auch in den eigenen Reihen – handelt es sich eher um ein politisches Hickhack.

Worin unterscheidet sich linker und rechter Antisemitismus?

Der Antisemitismus zeichnet sich durch immer gleiche Stereotypen und Deutungsmuster aus, die eine lange Geschichte haben. Das äussert sich links und rechts dann in verschiedenen Kontexten oder beide Seiten benutzen andere Aspekte dieses Spektrums.

Trotz unterschiedlicher Schwerpunkte links und rechts – der Antisemitismus ist immer der gleiche.

Im rechten Antisemitismus finden sich eher verschwörungstheoretische Momente oder kulturpessimistische Zuschreibungen an Juden. Im linken Spektrum finden sich eher Verbindungen zum Kapitalismus und angeblichem Reichtum. Trotz unterschiedlicher Schwerpunkte – der Antisemitismus ist immer der gleiche.

In früheren Erhebungen bejahten in der Schweiz bis zu einem Viertel der Befragten antisemitische Stereotypen. Ist Antisemitismus also nicht bloss ein Problem an den Rändern des politischen Spektrums?

Das ist auf jeden Fall so. Antisemitismus kommt aus der Mitte der Gesellschaft – es gibt dort also quasi einen antisemitischen Wissensstand. Und weil man sich wenig mit dem Thema beschäftigt, ist vielen nicht bewusst, dass gewisse Aussagen antisemitisch konnotiert sein können.

Spätestens seit dem Attentat von Zürich wird auch auf den muslimischen Antisemitismus verwiesen. Was weiss man dazu aus der Forschung?

Dazu weiss man in der Schweiz sehr wenig – auch, weil Antisemitismus grundsätzlich sehr wenig erforscht wird. Und der Vergleich mit anderen Ländern ist schwierig, weil die Muslime dort aus anderen Ländern kommen als jene in der Schweiz. Denn man geht davon aus, dass je nach Region des Herkunftslands – Balkan, Naher Osten oder Nordafrika – die Auseinandersetzung mit Antisemitismus unterschiedlich ist.

Vielen jüngeren Leuten ist offensichtlich gar nicht bewusst, was die eigentliche Problematik ist.

Worin unterscheidet sich in der Schweiz der muslimische Antisemitismus von jenem im linken und rechten Milieu?

Es gibt grundsätzlich nur einen Antisemitismus. In muslimischen Kreisen gibt es womöglich stärkere religiöse Bezüge oder aufgrund der Herkunft solche auf Israel. Aber der Antisemitismus ist immer der gleiche.

Wie kann der Antisemitismus eingedämmt werden?

Man muss sicher in den Schulen ansetzen. Vielen jüngeren Leuten ist offensichtlich gar nicht bewusst, was die eigentliche Problematik ist.

Das Gespräch führte Matthias Kündig.

Echo der Zeit, 12.3.2024, 18:00 Uhr ; 

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