Jedes Jahr veröffentlicht der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) seinen Antisemitismus-Bericht. Dieses Jahr fällt die Bilanz besonders düster aus. Es hat in den vergangenen Monaten eine regelrechte Antisemitismus-Welle gegeben, wie der SIG als Dachorganisation der Schweizer Juden erklärt.
Auslöser für antisemitische Vorfälle waren der Terroranschlag der Hamas auf Israel am 7. Oktober und der darauffolgende Krieg im Gazastreifen. Ein grosser Teil der judenfeindlichen Vorfälle der letzten Zeit hat einen Bezug zu Israel und dem Nahen Osten.
Antisemitische Tätlichkeiten nehmen stark zu
Besonders besorgniserregend ist, dass antisemitische Tätlichkeiten stark zugenommen haben. Während diese in den zurückliegenden Jahren eher selten waren, haben sie 2023 stark zugenommen. Allein zehn solcher Fälle verzeichnete man vergangenes Jahr in der Deutschschweiz.
Die Messerattacke auf einen orthodoxen Juden vom vorletzten Samstag ist ein extremes Beispiel für eine Tätlichkeit. Aber es gab in den Monaten zuvor auch weitere Fälle, in denen Juden angegriffen wurden, weil sie Juden sind: Sie wurden geschubst, geschlagen oder bespuckt.
Aus dem «Antisemitismus der Worte» sei ein «Antisemitismus der Tat» geworden, stellt Jonathan Kreutner fest, Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG). Diese Entwicklung bereite ihm grosse Sorgen. Dazu komme, dass auch die Zahl der antisemitischen Schmierereien stark zugenommen habe. Also Parolen wie «Tod den Juden» oder Nazi-Symbole, die etwa an Hauswände gesprayt wurden.
Mehr Antisemitismus auch online
In den Berichten der vergangenen Jahre war vor allem der Antisemitismus auf Online-Plattformen und in digitalen Medien ein grosses Thema. Der Antisemitismus in der digitalen Welt hat auch 2023 weiter zugenommen – allerdings weniger stark als in früheren Jahren. Der grösste Teil der beobachteten oder gemeldeten Online-Fälle von Antisemitismus findet auf Telegram statt.
In der realen, wie in der digitalen Welt ist und bleibt der Antisemitismus eine grosse Herausforderung. Der Generalsekretär des SIG betont, dass es in verschiedenen Milieus Antisemitismus gebe: nicht nur in muslimischen, sondern auch in rechten, linken Milieus und in der Mitte der Gesellschaft.
Die gesamte Gesellschaft sei jetzt gefordert, unterstreicht Jonathan Kreutner: die Politik, die Zivilgesellschaft und Bildungseinrichtungen. Gerade bei den Schulen sieht er eine grosse Verantwortung, also dort, wo junge Menschen sind. Denn der Kampf gegen Vorurteile müsse schon in jungen Jahren beginnen.