Während im Gazastreifen der Krieg zwischen Israel und der Hamas auch nach fünf Monaten unvermindert weitergeht, hat vor wenigen Tagen ein 15-jähriger Schweizer mit tunesischen Wurzeln in Zürich einen orthodoxen Juden niedergestochen. Die israelische Botschafterin Ifat Reshef über die Lage in der Schweiz und vor Ort im Gazastreifen.
SRF News: Wie beurteilen Sie die Situation in der Schweiz? Fühlen sich Jüdinnen und Juden hier sicher?
Ifat Reshef: Der zunehmende Antisemitismus hier in der Schweiz und auch weltweit beunruhigt mich als israelische Botschafterin natürlich. Wir sehen, dass das Risiko von Übergriffen auf Juden leider zugenommen hat. Deshalb ist es wichtig, dass die Schweizer Behörden, aber auch Behörden weltweit stärker zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass sich solche Ereignisse nicht wiederholen.
Wir sehen, dass es eine Menge Hassreden gibt, die in den sozialen Medien verbreitet werden.
Aber ich muss betonen, dass ich nicht für die Schweizer Jüdinnen und Juden spreche. Ich vertrete den Staat Israel, und natürlich sind die Schweizer Juden in erster Linie Schweizer Bürger. Sie haben ihre eigenen gewählten Vertreter und ihre eigenen Institutionen.
Tut die Schweiz genug, um die Sicherheit der Juden im Land zu gewährleisten?
Ich denke, dass wir alle mehr tun müssen. Denn das Risiko für einen Angriff auf Juden ist seit dem 7. Oktober gestiegen. Es werden Fehlinformationen verbreitet und dadurch vor allem junge Menschen aufgestachelt. Es gibt viel zu tun, juristisch, aber auch bezüglich Sicherheit und Bildung. Ich bin froh, dass bereits heute im Parlament Massnahmen dazu ergriffen wurden.
Welche Veränderungen haben Sie in Ihrem Umfeld bezüglich antisemitischer Stimmung in der Schweiz festgestellt?
Natürlich unterscheidet sich die Schweiz nicht von anderen Orten in Europa und auf der Welt. Wir sehen, dass es eine Menge Hassreden gibt, die in den sozialen Medien verbreitet werden. Und wir sehen, dass die Menschen die Dinge so darstellen, wie sie sie für richtig halten.
Die entführten Geiseln haben ein Loch in unsere Gesellschaft gerissen.
Auch hier in der Schweiz werden bei Protesten bestimmte Slogans und Codewörter verwendet, um Juden für etwas schuldig zu sprechen und als eine kollektive Gruppe darzustellen, die sogar angegriffen werden muss.
Fünf Monate sind seit dem Angriff der Hamas auf Israel vergangen. Wie geht Ihr Land heute mit dieser traumatischen Situation um?
Diese fünf Monate waren für uns Israelis eine sehr intensive und traurige Zeit. Die entführten Geiseln haben ein Loch in unsere Gesellschaft gerissen. Wir haben immer noch 130 entführte Männer, Frauen und Kinder im Gazastreifen, zusammen mit vier Entführten aus früheren Jahren.
Wir glauben, dass der militärische Druck auf die Hamas diese zu einem Abkommen bewegen wird. Doch die Hamas-Führer spielen mit uns, und wir wissen letztlich nicht, wie der Krieg ausgehen wird. Aber wir werden ihn weiterführen, bis unsere Ziele erreicht sind, denn wir haben keine andere Wahl.
Wie kann Israel sicherstellen, dass die humanitäre Hilfe im Gazastreifen dort ankommt, wo sie am dringendsten benötigt wird? Offensichtlich kommt jetzt zu wenig an.
Das ist derzeit eine der grössten Herausforderungen. Von israelischer Seite aus gibt es keine Beschränkungen für den Umfang der humanitären Hilfe für den Gazastreifen. Die einzige Bedingung, die wir stellen, ist, dass die Hilfsgüter zuerst die Sicherheitskontrollen passieren. Wir haben auch Luftabwürfe durch verschiedene Länder erlaubt und diskutieren über die Öffnung des Seeweges von Zypern aus.
Wir sind uns der Verpflichtung bewusst, dafür zu sorgen, dass der Bevölkerung in Gaza weniger Schaden zugefügt wird.
Wir suchen also ständig nach neuen Wegen, wie wir Länder und Hilfsorganisationen dazu bringen können, Hilfe nach Gaza zu bringen. Das Problem ist, dass die Aufnahmekapazitäten der Hilfsorganisationen überlastet sind und die Verteilung innerhalb des Gazastreifens nicht immer die richtigen Leute erreicht.
Schauen wir noch in den Süden des Gazastreifens. Was tut Israel, um die Zivilisten dort zu schützen und sie aus der Schusslinie zu nehmen? Tut Israel wirklich genug?
Bevor das israelische Militär einen Stadtteil in Gaza angreift, warnt es die Bevölkerung, wohin sie gehen soll und wo sie sicher ist. Fast täglich erhalten sie in bestimmten Vierteln oder Strassen Anweisungen, manchmal sogar mit genauer Uhrzeit. Dadurch bekommen die Hamas-Terroristen eine Vorstellung davon, was das israelische Militär vorhat.
Welches andere Land gibt seinem Gegner eine genaue Angabe, wo es einen Angriff starten wird? Doch wir tun dies und bringen damit das Leben unserer eigenen Soldaten in noch grössere Gefahr, weil wir uns der Verpflichtung bewusst sind, dafür zu sorgen, dass der Bevölkerung in Gaza weniger Schaden zugefügt wird.
Das Gespräch führte Monika Schoenenberger.