Am Freitag hatte Israel mit Luftangriffen mehrere Personen getötet, darunter einen ranghohen Kommandeur der Extremisten-Gruppe «Islamischer Dschihad». Seither dreht die Gewaltspirale wieder. Auch am Samstag flogen wieder Dutzende Raketen Richtung Israel und die israelische Luftwaffe bombardierte Ziele im Gazastreifen. Es ist die schwerste Eskalation seit dem Gaza-Krieg vor einem guten Jahr. SRF-Nahost-Korrespondentin Susanne Brunner erklärt die Lage.
SRF News: Wie ist die Situation aktuell?
Susanne Brunner: Für die Zivilbevölkerung ein Alptraum: In Gaza können die Spitäler Verletzte kaum behandeln. Es fehlt an allem: Medikamenten, Personal, medizinischen Geräten. Jetzt droht auch noch die komplette Abschaltung des einzigen Strom-Kraftwerks im Gazastreifen. Die Bevölkerung in Südisrael befindet sich seit drei Tagen im Lockdown und zittert in Luftschutzkellern. Raketen aus Gaza haben mindestens ein Haus getroffen – Menschen mussten ins Spital gebracht werden.
Ein Ende der Gewalt ist im Moment nicht in Sicht. Israel gibt an, dass die Angriffe gegen die Terrororganisation Islamischer Dschihad in Gaza eine Woche dauern sollen. Diese hat bisher an die 200 Raketen auf südisraelische Städte gefeuert. Ausserdem droht Iran Israel mit schweren Konsequenzen: die schiitische Grossmacht finanziert den Islamischen Dschihad.
Inwiefern hat sich der Angriff des israelischen Militärs auf den Islamischen Dschihad abgezeichnet?
Im Frühling gab es eine Serie von Terroranschlägen in Israel, insgesamt kamen 19 Menschen ums Leben. Die Israelischen Sicherheitskräfte reagierten mit einer Anti-Terror-Operation, welche sich gegen Mitglieder der Terrorgruppe Islamischer Dschihad im besetzten Westjordanland richtete. Dabei wurden mehrere Dutzend Menschen getötet – auch Zivilpersonen.
Israel hatte nur noch zwei Möglichkeiten: abwarten, bis die Raketen flogen, oder zuerst angreifen. Die israelische Führung griff zuerst an.
Dann verhafteten die Israelischen Streitkräfte vor dem Wochenende ein ranghohes Mitglied des Islamischen Dschihad. In Gaza drohte die Terrorgruppe daraufhin: als Vergeltung werde sie Raketen auf Israel abfeuern. Israel hatte da nur noch zwei Möglichkeiten: abwarten, bis die Raketen flogen, oder zuerst angreifen. Die israelische Führung griff zuerst an.
Warum riskiert Israel, dass die Gewalt neu ausbricht?
Das ist sehr unklar. Eigentlich war Ägypten am Vermitteln zwischen der Hamas und Israel. Israel erlaubte auch mehr Menschen aus Gaza, in Israel zu arbeiten. Eine Rolle spielt sicher die Führungskrise auf beiden Seiten: Niemand hat eine Vision, wie die Gewalt beendet werden soll. Es macht Israel auf die Dauer tatsächlich nicht sicherer, wenn die Menschen im Gaza-Streifen immer mehr verarmen, weil sie fünf Kriege in 15 Jahren durchgemacht haben. Der Hass wächst, und damit die Macht der Extremisten.
Vielleicht liegt in der Zurückhaltung der Hamas auch eine Antwort auf die Frage, warum Israel das Risiko einer Eskalation eingegangen ist.
Was an dieser Eskalation stutzig macht: bis jetzt haben sich israelische Angriffe immer gegen die militante Hamas gerichtet, weil diese in Gaza regiert. Jetzt hat Israel die Konkurrenz der Hamas im Visier, also den Islamischen Dschihad. Die Hamas hat bis jetzt keine Raketen auf Israel abgefeuert, wie sonst immer. Vielleicht liegt da auch eine Antwort auf die Frage, warum man das Risiko einer Eskalation eingegangen ist.
Trotz mehrerer Vermittlungsversuche in diesem Konflikt, gibt es bis heute keine Lösung. Zeigt diese neue Gewalt also auch das Versagen der internationalen Diplomatie?
Kürzlich war US-Präsident Biden zu Besuch im Nahen Osten – auch in Israel. Der Nahost-Konflikt war kaum ein Thema. Die Welt hat anderes zu tun, und selbst viele arabischen Staaten haben genug vom Konflikt und wollen Beziehungen mit Israel normalisieren. Damit geht das Problem jedoch nicht weg. Der Raum für die Palästinenser wird immer enger – die Situation für Israel nicht friedlicher.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.