SRF News: Erst gestern wurde bekannt, dass der US-Student Otto Warmbier nach seiner Entlassung aus der Haft in Nordkorea gestorben ist. Wie muss man sich die Situation in einem solchen Gefangenenlager vorstellen?
Reto Rufer: Über den konkreten Fall des US-Studenten wissen wir nicht viel. Über die Straflager, wo politische Häftlinge – aber nicht Ausländer – inhaftiert sind, gibt es immerhin einige Informationen. Diese stammen von Ex-Häftlingen sowie weitere Kenntnisse aus der Auswertung von Satellitenbildern.
Was weiss man darüber?
In diesen Gefangenenlagern leiden die Häftlinge an Hunger, müssen extrem harte Zwangsarbeit leisten. Schwere Menschenrechtsverletzungen wie Folter und Exekutionen für geringe Regelübertretungen gehören zur Tagesordnung.
Die politischen Häftlinge werden in riesigen Lagern festgehalten, die extrem abgeschirmt sind. Seit Jahrzehnten erhielten weder Angehörige von Häftlingen noch unabhängige Personen Zutritt zu diesen Gefangenenlagern. Das grösste Straflager in Hwasong, offizieller Name Kwan-li-so (Straflager) Nr. 16, hat eine Gesamtfläche von über 500 Quadratkilometern. Insgesamt wissen wir von vier Lagern für politische Häftlinge.
Weiss man denn, wie viele Personen sich in den Straflagern befinden?
Genaue Zahlen gibt es nicht. Aber Amnesty International und die UNO gehen von etwa 120‘000 politischen Häftlingen aus. Dazu gehören auch Angehörige, Verwandte und Nachkommen eines politischen Häftlings. Damit wird klar: Nordkoreas Diktatur wendet das Prinzip der Sippenhaft an. Zudem gibt es auch Berichte, wonach Kinder in diesen Lagern zur Welt gekommen sind und dort ohne Chance auf Entlassung aufwachsen.
Die Ausländer werden von den nordkoreanischen Häftlingen getrennt.
Weiss man, wie viele Ausländer ungefähr in Haft sind?
Auch hier gibt es keine genauen Zahlen. Amnesty International weiss von insgesamt fünf Fällen. Dabei handelt es sich um einen Amerikaner, einen Kanadier sowie drei Südkoreaner.
Werden Ausländer strenger behandelt?
Die Ausländer werden von den nordkoreanischen Häftlingen getrennt. Sie werden nicht in einem der grossen Straflager inhaftiert. Meist werden sie in Isolationshaft in einem Haus gesetzt. Zumindest der kanadische Pfarrer war / ist zeitweise auch in einem Arbeitslager. Sehr wahrscheinlich werden diese Gefangenen zumeist nicht misshandelt.
Die Flucht nach China ist Grund, um in einem Straflager zu enden.
Benutzt Nordkorea ausländische Gefangene als Druckmittel?
Ja, das ist wohl der Hauptgrund, warum Ausländer unter fadenscheinigen Gründen in Haft genommen werden. Dass vor allem US-Bürger und Südkoreaner festgehalten werden, ist kaum Zufall. So bestehen ja jeweils Spannungen zwischen Südkorea und den USA mit Nordkorea.
Die Gefangennahmen sind einerseits eine Art politische Reaktion, aber die Gefangenen werden andererseits auch als Faustpfand missbraucht, um die USA oder Südkorea zu politischen oder wirtschaftlichen Konzessionen zu bewegen. Darüber, ob und zu welchen Konzessionen es in der Vergangenheit in derartigen Fällen kam, wurde nichts bekannt.
15 Monate im Koma
Welche «Straftaten» führen zu einer Verurteilung zur Arbeit im Straflager?
Dazu reicht der «Tatbestand» der Subversion, jegliche Art von Opposition oder Verwandtschaft mit einem bereits inhaftierten politischen Häftling reicht. Aber auch die Flucht nach China ist Grund, um in einem Straflager zu enden.
Die Behörden verurteilen Menschen – darunter auch Ausländer – zu langjährigen Haftstrafen nach unfairen Prozessen. So wurde beispielsweise der US-Student Otto Warmbier wegen «Subversion» verhaftet. Er hatte im Prozess «gestanden», ein Propaganda-Plakat abgerissen zu haben.
Kim Kong-Chul, ein US-Bürger, der in Südkorea geboren wurde, wurde im April 2017 wegen «Spionage» zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Auffällig ist der Zeitpunkt der Verurteilung. Denn zuvor hatte die UNO neue Sanktionen gegen die Diktatur in Nordkorea verhängt. Zudem stand unmittelbar der nordkoreanische Parteikongress im Mai bevor. Ein Zeitpunkt, zu dem Nordkorea im internationalen Rampenlicht stand.
Zum Schluss: Bestehen Hoffnungen, dass sich die Situation in diesen Straflagern ändert?
Auch die Diktatur in Nordkorea wird nicht ewig Bestand haben. Allerdings gibt es – trotz gewisser wirtschaftlicher Öffnungen in letzter Zeit – keine konkreten Anzeichen dafür, dass sich die Lage in den Straflagern demnächst ändern soll oder die Lager gar aufgelöst werden. Das darf aber kein Grund sein, nicht immer wieder zu versuchen, die Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu benennen und zu dokumentieren.
Das Gespräch führte Richard Müller.